BTHG umsetzen und weiterentwickeln
bpa-Forderungen zur Zukunft der Eingliederungshilfe
Die Ziele und Inhalte des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) sind weit mehr als nur rechtliche Vorgaben – sie sind der Maßstab für die Teilhabe und das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft. Als private Unternehmerinnen und Unternehmer in der Eingliederungshilfe stehen wir zu diesen Zielen und unterstützen deren Umsetzung.
Das BTHG hat wichtige Impulse gesetzt, doch die Realität zeigt: Der Weg zu einer gleichberechtigten Teilhabe ist noch lange nicht vollendet. Die Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, erfordern mehr als nur Anpassungen – sie verlangen nach mutigen, zukunftsweisenden Lösungen. Als bpa verstehen wir uns als aktiven Mitgestalter dieses Prozesses und formulieren im vorliegenden Papier konkrete Forderungen und Ideen für eine zukunftsfähige Eingliederungshilfe. Es geht uns nicht nur um die Weiterentwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, sondern auch um eine neue Perspektive auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen und diejenigen, die für ihre Unterstützung verantwortlich sind. Die wichtigsten Forderungen im Überblick:
Attraktive Ausbildung, leichtere Zuwanderung
- Mehr Ausbildungsplätze, mehr refinanzierte Möglichkeiten der vergüteten Ausbildung, vollumfängliche Refinanzierung der Kosten für duale Studiengänge in Entgeltsätzen
- Niedrigschwelligen Einstieg ermöglichen, Vereinfachung der fachlichen Weiterqualifizierung finanzieren und finanzielle Förderung
- Einführung einer Kompetenzvermutung für Fachkräfte mit B2-Sprachkenntnissen
- Stärkere Förderung der Zuwanderung aus dem Ausland
Flexiblere, schnellere und unbürokratischere Verhandlungen
- Kostensteigerungen (Personal- u. Sachkosten) müssen vollumfänglich und auskömmlich in Pauschalansätzen refinanziert werden.
- Bewussten Verhandlungsverzögerungen und Außerkraftsetzen von Fristen seitens der Kostenträger und der daraus resultierenden notwendigen Anrufung der Schiedsstellen muss ein Ende gesetzt werden.
- Kollektive, schiedsstellenfähige Verhandlungen auf Landesebene
- Berücksichtigung von Auslastungsrisiken, angemessener Investitionskosten, betrieblich-spezifischer Einzelrisiken u. unternehmerischem Wagnis
Bürokratieabbau
- Keine weiteren Vorgaben zum Gewaltschutz
- Bessere Abstimmung von Leistungsrecht, Ordnungsrecht und WBVG
- Konsequente Digitalisierung und gewinnbringende Nutzung von KI
- Einheitliche digitale Schnittstellen
- Entwicklung eines bundesweit einheitlichen Bedarfsermittlungsinstruments
Weiterentwicklung des Angebots
- Schiedsstellenfähige Ausgestaltung der Rahmenverträge
- Gleichstellung privater Träger
- Bereinigung und Vereinfachung der Schnittstelle EGH und Pflege
- Inklusive Jugendhilfe zielgerichtet umsetzen
Nur mit solchen Lösungen kann das bisher nicht genutzte Innovationspotential des BTHG endlich ausgeschöpft werden. Leider ist der Umsetzungsprozess weiterhin stockend. Insbesondere die Fokussierung auf die Finanzsituation führt immer häufiger dazu, dass eine moderne, flexible und qualitätsorientierte Leistungserbringung, die sich an den Wünschen und Zielen der leistungsberechtigten Personen orientiert, kaum möglich ist. Denn sie braucht verlässliche strukturelle und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die BTHG-Umsetzung darf und kann nicht abhängig von der Finanzsituation der Leistungsträger gemacht werden. Die finanzielle Ausstattung der Träger der Eingliederungshilfe ist an anderer Stelle zu lösen und darf nicht auf Kosten der leistungsberechtigten Personen gehen. Das Leitbild der Budgetneutralität darf nicht wichtiger als echte Teilhabe sein. Zudem ist die Leistungserbringung volkswirtschaftlich zu betrachten. Studien zum Social Return on Investment zeigen, dass durch die Ausgaben für Leistungen der Eingliederungshilfe erheblich größere Einsparungen in anderen Bereichen (z. B. bei Sozialversicherungsträgern) erfolgen und damit für einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert sorgen.
Die Finanzuntersuchung zu den Leistungen der Eingliederungshilfe im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) hat eindrücklich gezeigt, dass die weiterhin bestehende Kostendynamik insbesondere von den allgemeinen Personalkosten- und Preissteigerungen, dem weiteren Anstieg der Zahl der leistungsberechtigten Personen sowie den durch das BTHG veränderten Einkommens- und Vermögensfreigrenzen geprägt ist. Die Teilhabeleistungen oder die Leistungserbringer hingegen sind für den drastischen Kostenschub nicht verantwortlich. Vielmehr ist es vor allem der massive Stellenaufwuchs in der Verwaltung der Träger der Eingliederungshilfe und der Grundsicherungsträger. Gerade erst hat die öffentliche Hand einen weiteren Tarifabschluss mit einer Steigerung von 5,8 Prozent verabschiedet, der zu weiteren Personalkosten- und Preissteigerungen führen wird.
Es gehört zu einer ehrlichen Debatte, dass die politischen Entscheidungsträger auch auf solche Entwicklungen kritisch schauen. Kostensenkend oder -stabilisierend wirken effiziente Verwaltungen und Abbau von Bürokratie. Eingriffe in die Berufsfreiheit der Leistungserbringer oder das planwirtschaftliche Agieren der öffentlichen Hand, inklusive Pläne zur Abschaffung von Vergütungs-verhandlungen oder zu einseitigen Belegungssteuerungen, sind kontraproduktiv. Entsprechende Versuche sind bisher aus gutem Grund allesamt gescheitert. Ohnehin würden solche nicht zu einer nachhaltigen Kostendämpfung führen, da sie nicht die Ursachen der Ausgabendynamik berücksichtigen. Die Folgen wären vielmehr eine deutliche Verschlechterung der Qualität von Leistungen und die Beschneidung der Leistungsansprüche der Menschen mit Behinderungen. Die prekäre Finanzierungs-situation der Träger der Eingliederungshilfe darf nicht auf dem Rücken der Menschen mit Behinderungen ausgetragen werden.
Personalmangel, immer neue bürokratische Anforderungen sowie insbesondere die knappen Kassen der Träger der Eingliederungshilfe führen zu schlechten Refinanzierungsbedingungen und verschärften Anforderungen. Die wirtschaftlichen Spielräume für die Unternehmen der Eingliederungshilfe werden dadurch immer schmäler. Umso wichtiger ist es daher, konsequent alle Stellschrauben zu nutzen, die wirtschaftliches Handeln möglich machen.
Personalmangel und angespannte wirtschaftliche Situation
Der Fachkräftemangel und die schleppenden Verhandlungen mit den Kostenträgern tragen erheblich dazu bei, dass Betreuungsplätze für Menschen mit Behinderungen zunehmend knapp werden. Zwei Drittel der Einrichtungen in der Eingliederungshilfe mussten ihre Aufnahmekapazitäten bereits reduzieren (Zweites Trendbarometer Sozial und Gesundheitswirtschaft, März 2023, S. 12) – dieser Trend wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung voraussichtlich fortsetzen und verschärfen. Häufig fehlt es auch an der Bereitschaft der Länder und Kommunen, die auftretenden Kostensteigerungen angemessen zu refinanzieren. Das bringt viele Angebote unverschuldet in eine wirtschaftliche Schieflage. Auch in Teilen beschlossene Erhöhungen der Vergütungssätze reichen oftmals nicht aus, um die wirtschaftliche Situation zu stabilisieren. Die Bundesländer müssen unverzüglich ihrer Verantwortung nachkommen und strukturelle Maßnahmen zur Personalsicherung, Entbürokratisierung und Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit der Anbieter zeitnah und effektiv umsetzen. Neben den Personalkosten sind dabei überproportionale Kostensteigerungen – insbesondere im Bereich Digitalisierung und Verwaltung – sowie eine Refinanzierung von Wagnis zu berücksichtigen. Andernfalls droht ein erhebliches Wegbrechen der sozialen Infrastruktur und der Versorgungsangebote für Menschen mit Behinderungen.
Laut dem Fachkräftemonitoring des BMAS wird der Neubedarf an Fachkräften in der Berufsgruppe Erziehung, Sozialarbeit, Heilerziehungspflege zwischen 2022 und 2027 die Anzahl an Personen, die im gleichen Zeitraum eine Erwerbstätigkeit in dieser Berufsgruppe suchen, übersteigen. Es werden also nicht mehr alle Stellen in diesem Bereich wiederbesetzt werden können. Menschen mit Behinderungen laufen somit absehbar Gefahr, dass sie keine bedarfsdeckenden Leistungen erhalten werden. Demografisch bedingt wird sich dieser Mangel weiter verschärfen. Darüber hinaus steigern immer neue gesetzliche und bürokratische Anforderungen ebenfalls den Personalbedarf. Es müssen daher konsequent alle Maßnahmen zur Personalsicherung ergriffen werden.
Attraktive Ausbildung
Um die Versorgung zu stabilisieren und langfristig zu sichern, müssen massive Anstrengungen in die Gewinnung von Personal und die Gestaltung der Ausbildung mit attraktiven Rahmenbedingungen unternommen werden. Es braucht dringend mehr Ausbildungsplätze und mehr refinanzierte Möglichkeiten der vergüteten Ausbildung in den relevanten Berufsfeldern der Eingliederungshilfe. Das Schulgeld muss flächendeckend abgeschafft werden. Kosten für duale Studiengänge – bestehend aus Studiengebühren und bezahlter Freistellung – müssen vollumfänglich in Entgeltsätzen refinanziert werden.
Um auch einen niedrigschwelligen Einstieg zu erleichtern, sind formale Einstellungserfordernisse und geforderte Qualifikationen jeweils auf ihre zwingende Notwendigkeit hin zu prüfen und im Zweifel wesentlich flexibler als bisher auszugestalten. Die Möglichkeit, Hilfs- und Assistenzkräfte während des Beschäftigungsverhältnisses zu Fachkräften zu qualifizieren, muss vereinfacht und vollständig finanziell gefördert werden.
Zuwanderung erleichtern
Der Bedarf wird durch inländisches Personal allein nicht zu decken sein. Es braucht gleichermaßen ausländische Fachkräfte. Jedoch machen hohe bürokratische Hürden und lange Verfahrensdauern bei der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen Deutschland für Fachkräfte aus dem Ausland unattraktiv. Hier sind dringend kurzfristig wesentliche Erleichterungen umzusetzen. Dies umfasst die Kompetenzvermutung für alle mindestens dreijährig beruflich oder akademisch ausgebildeten Fach-kräfte aus dem Ausland mit den zur Berufsausübung erforderlichen deutschen Sprachkenntnissen (B2). Jede Fachkraft, die diese Voraussetzungen erfüllt, soll unmittelbar auch als Fachkraft tätig werden dürfen; eventuelle Ausgleichsmaßnahmen sollen berufsbegleitend erfolgen können. Die Länder müssen überdies die in der Eingliederungshilfe typischen Berufsabschlüsse stärker für vergleichbare ausländische Abschlüsse öffnen. Darüber hinaus muss auch die Zuwanderung aus dem Ausland in die Ausbildung stärker gefördert werden.
Flexiblere, schnellere und unbürokratischere Verhandlungen sicherstellen
Kostensteigerungen im Bereich der Personal- und Sachkosten müssen vollumfänglich und mit auskömmlichen Pauschalansätzen refinanziert werden. Zur Flexibilität bei Preissteigerungen müssen dabei entsprechende wirtschaftliche Puffer berücksichtigt werden. Bewussten Verhandlungsverzöge-rungen und dem Außerkraftsetzen von Fristen seitens der Kostenträger und der daraus resultierenden notwendigen Anrufung der Schiedsstellen muss ein Ende gesetzt werden. Verspätete Zahlungen der Leistungsträger sind regelhaft zu verzinsen.
Vielfach werden von Kostenträgern Vergütungsverhandlungen verzögert oder schlicht verweigert. Aufgetretene Kostensteigerungen werden dann nicht mehr zeitnah kompensiert und erhöhen den wirtschaftlichen Druck der Einrichtungen. In einzelnen Bundesländern ist die Situation dermaßen eskaliert, dass diese nicht nur für eine Vielzahl an Einrichtungen existenzbedrohend ist, sondern auch das an sich bewährte System der Schiedsstellen vor dem Kollaps steht. Aus diesem Grund sind gesetzliche Änderungen bei den Abläufen der Schiedsstellenverfahren zwingend notwendig. Eine Schiedsstelle ist grundsätzlich ein geeigneter Konfliktlösungsmechanismus im Vereinbarungswesen der Eingliederungshilfe. Da aber, wie zum Beispiel in Sachsen-Anhalt mit mehr als 1.200 offenen Verfahren, das System durch die Verhandlungsverweigerung der Leistungsträger mit laufenden Verfahren überflutet wird und kollabiert, müssen kurzfristig pauschale Regelungen getroffen werden.
Zur Beschleunigung von Verfahren muss auch § 126 Absatz 3 Satz 4 SGB IX gestrichen werden. Durch Satz 4 wird geregelt, dass falls während des Schiedsstellenverfahrens der Antrag geändert wird, bei der Festsetzung der Schiedsstelle nun mehr auf den Tag abzustellen ist, an dem der geänderte Antrag bei der Schiedsstelle eingegangen ist. In der Praxis sorgt diese Regelung dafür, dass bei laufenden Schiedsstellenverfahren die Anträge nicht mehr geändert werden – auch wenn dies für alle Beteiligten sinnvoll wäre – um die Verfahren nicht noch weiter zu verlängern.
Hinzu kommt der administrative Aufwand, der für die einzelnen Einrichtungen oft nicht mehr leistbar ist. Es bedarf der gesetzlichen Möglichkeit der kollektiven, schiedsstellenfähigen Verhandlung auf Landes-ebene. Diejenigen Leistungserbringer, die keine darüberhinausgehenden Kostensteigerungen im Wege der Einzelverhandlungen abschließen, könnten damit in einem bürokratiearmen und zügig umzusetzenden Verfahren einem entsprechenden Abschluss beitreten, was Leistungserbringer und Kostenträger gleichermaßen erheblich entlasten würde.
Die bereits vorhandenen und zunehmend steigendenAuslastungsrisikenmüssen kalkulatorisch an die realen Auslastungen von Leistungsangeboten angepasst werden. Ebenfalls sind aktuell pauschal gedeckelte Freihaltegebühren bei (Krankenhaus-)Abwesenheit der Leistungsempfänger zu berück-sichtigen und auf Basis von Erfahrungswerten und ggf. differenziert nach Art der Behinderung anzupassen.
AngemesseneInvestitionskostensind vollständig anzuerkennen. Bei Miet- oder Pachtverträgen sind marktgerechte Mieten zu akzeptieren; dies gilt auch für mietvertraglich geschuldete Indexsteigerungen. Eine bloße Orientierung an durchschnittlichen ortsüblichen Wohnungsmieten ist nicht ausreichend. Ein Abschreibungssatz von mind. 3,3 Prozent, eine Eigenkapitalverzinsung und ein Risikozuschlag von mind. fünf Prozent sowie angemessene Instandhaltungspauschalen sind zugrunde zu legen. Bei der Refinanzierung besonderer Wohnformen muss die sogenannte 125-Prozent-Grenze gelockert werden. Die baurechtlichen und fachlichen Anforderungen sind uneingeschränkt zu refinanzieren. Gleiches gilt für Maßnahmen im Rahmen energetischer Sanierungen oder der Digitalisierung der Einrichtungen.
Betriebliche Risiken und das unternehmerische Wagnis müssen angemessen berücksichtigt werden. Der höchstrichterlich bestätigte Rechtsanspruch wird allzu oft weiter von den Leistungsträgern schlichtweg ignoriert. Es muss daher ein Mechanismus etabliert werden, der eine Berücksichtigung des Unternehmerrisikos in den Vergütungen garantiert; sowohl bei individuell vereinbarten Vergütungen wie auch in pauschal finanzierten Angeboten.
Sofortiger Bürokratieabbau – Vertrauenskultur etablieren
Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, Maßnahmen zum Bürokratieabbau in der Eingliederungshilfe zu identifizieren. Der Bedarf hierzu ist enorm. Ein erheblicher Teil der Kostensteigerungen der vergangenen Jahre ist aufgrund des zur Umsetzung der immer kleinteiligeren Vorgaben notwendigen Personal-aufbaus entstanden. Durch eine konsequente Entbürokratisierungkönnen Kosten gespart und Fachkräfte statt am Schreibtisch wieder verstärkt in der aktiven Teilhabearbeit eingesetzt werden. Bei den Leistungsträgern fand in den vergangenen Jahren eine Verdreifachung des pädagogisch qualifizierten Personals statt. Außerdem werden pro Stelle bei den Leistungsträgern immer weniger Fälle bearbeitet. Durch eine effektivere Gestaltung der Verfahren ließen sich hier deutlich Kosten sparen, ohne die Qualität der Leistungen für Menschen mit Behinderung zu schmälern.
Für die Eingliederungshilfe fehlt im Koalitionsvertrag leider der bereits für die Pflege angekündigte Paradigmenwechsel. Die Etablierung einer Vertrauenskultur, die Stärkung der Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Professionen, ein Praxis-Check aller Vorgaben sowie die Überprüfung von Berichts- und Dokumentationspflichten auf Notwendigkeit sind zwingend in der Eingliederungshilfe umzusetzen. Dies gilt ebenfalls für die Etablierung eines konsequent vereinfachten und digitalen Berichtswesens.
Die im Koalitionsvertrag stattdessen angekündigte und durch einen Beteiligungsprozess des BMAS in Vorbereitung befindliche Ausweitung der Vorgaben zum Gewaltschutz ist hingegen Ausdruck der überbordenden Regulierung. Statt die Umsetzung der bestehenden Vorgaben des § 37a SGB IX durch entsprechende Ressourcen für die Leistungserbringer zu unterstützen, sollen lieber die Anforderungen zusätzlich verschärft werden.
Ebenfalls zu streichen ist die Länderöffnungsklausel des § 128 Absatz 1 Satz 7 SGB IX. Der Bundes-gesetzgeber war der Auffassung, dass Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsprüfungen nur dann zulässig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Leistungserbringer seine gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten nicht erfüllt. Es ist daher nicht nachvollziehbar, wieso dieser Grundsatz in einem Bundesland weiter gilt, im anderen aber nicht. Das war und ist inkonsequent und muss entsprechend korrigiert werden.
Das Leistungsrecht, das Ordnungsrecht der Länder sowie das bundesgesetzliche Vertragsrecht (WBVG) sind vielfach nicht aufeinander abgestimmt. Dies erschwert die Umsetzung des BTHG zusätzlich und belastet die Leistungserbringer massiv. Die teils politisch diskutierte Ausweitung des WBVG auch auf die ambulante Versorgung würde nicht nur zu erheblichen Mehrkosten führen, sondern eine Weiterentwicklung der Angebote erheblich einschränken. Insbesondere neue und kleine Anbieter können die Anforderungen regelmäßig nicht mehr erfüllen. Hier müssen erheblich pragmatischere Verfahrensweisen etabliert werden. Aus Sicht der Menschen mit Behinderungen ist ein möglichst komplexes Vertragsrecht ebenfalls nicht zielführend. Es schränkt die Pluralität der Angebote und somit das Wunsch- und Wahlrecht ein und ist aufgrund seiner Komplexität ohnehin nicht verständlich.
Zum Abbau von Bürokratie gehört es auch, konsequent auf die Digitalisierungzu setzen und die Chancen der KI gewinnbringend zu nutzen. Hierzu ist aber eine Unterstützung für die Leistungserbringer notwendig. Dies betrifft sowohl die erheblichen Investitionen, die es zur Etablierung digitaler Arbeits-, Verwaltungs- und Versorgungsprozesse braucht, als auch die langfristige strukturelle Absicherung dieser Arbeitsweisen durch eine Finanzierung des IT-Personals, entsprechender Schulungen sowie der kontinuierlichen Wartung und Weiterentwicklung der genutzten Digitalisierungsmaßnahmen.
Digitale Schnittstellen müssen bundesweit einheitlich sein, damit ein reibungsloser, medienbruchfreier Datenaustausch sichergestellt ist und die Effizienzgewinne tatsächlich gehoben werden können.
Die Bedarfsermittlung ist zu komplex geraten und muss vereinfacht werden. Nicht nur, dass inzwischen 70 verschiedene Instrumente zur Bedarfsfeststellung bundesweit im Einsatz sind, auch die Bearbeitungsdauer und der Umfang der Instrumente sind ein Problem. Bearbeitungsdauern von bis zu 16 Stunden und Umfänge von bis zu 100 Seiten bringen sowohl die Leistungsträger und Leistungserbringer als auch die betroffenen Menschen an ihre Grenzen. Des Weiteren sind zurzeit eine Vielzahl der genutzten Bedarfsfeststellungsinstrumente nur unzureichend auf die neue Leistungssystematik abgestimmt. Es muss daher ein grundlegender Wandel eingeleitet werden hin zu einem bundesweit einheitlichen Bedarfsermittlungsinstrument. Das schafft Planungssicherheit für Leistungserbringer und die Menschen mit Behinderungen und ermöglicht den Leistungsträgern den Aufbau einheitlicher Systeme. Der einmalige Umstellungsaufwand ist im Vergleich zum dauerhaften Mehrwert verhältnismäßig.
Trotz des immensen Personalzuwachses bei den Trägern der Eingliederungshilfe haben eine Vielzahl der leistungsberechtigten Personen noch kein Gesamtplanverfahren mit der entsprechenden ICF-orientierten Bedarfsermittlung durchlaufen. Die vorhandenen Instrumente und Verwaltungsstrukturen bei den Leistungsträgern scheinen also offensichtlich dysfunktional zu sein und verwehren den leistungsberechtigten Personen ein rechtskonformes Verwaltungsverfahren. Gesetzlich ist daher eindeutig zu regeln, dass das Gesamtplanverfahren und die Bedarfsermittlung aufgrund eines ICF-basierten Erhebungsinstrumentes zwingende Grundlage des Verwaltungsaktes gemäß § 120 SGB IX sein müssen. In der Begründung des Verwaltungsaktes ist der ermittelte Bedarf anzuführen. Dies dient dem Schutz der betroffenen Menschen mit Behinderungen auch bei gegebenenfalls notwendigen gerichtlichen Klärungen. Um die teils überlangen Verfahrensdauern zu verkürzen, sind überdies die Ausnahmen von der gesetzlichen Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 7 SGB IX ersatzlos zu streichen. Sollte trotz Bürokratieabbau eine verstärkte Zuarbeit der Leistungserbringer im Rahmen der Bedarfserhebung notwendig sein, muss diese aktiv gefördert und finanziell unterstützt werden, um den Prozess zu beschleunigen.
Rahmenverträge schiedsstellenfähig ausgestalten
Der Umgang einiger Landesregierungen und Leistungsträger mit den Rahmenverträgen nach § 131 SGB XI ist besorgniserregend und hat sich im letzten Jahr weiter verschärft. Statt auf dem Verhandlungs-wege zu guten Lösungen für eine nachhaltige Umsetzung des BTHG zu gelangen, wird immer häufiger nur noch die Senkung der Kosten in den Blick genommen. In mehreren Ländern wurden Rahmenverträge vom Land als Vertragspartei gekündigt, um dann eine landesrechtliche Verordnung zu erlassen. In anderen wurden Verhandlungen aufgegeben, um dann einseitig die vorherigen eigenen Verhandlungs-positionen festzulegen. Diesen rechtsmissbräuchlichen Versuchen der Umgehung von gemeinsamen vertraglich vereinbarten Regelungen durch das Ausnutzen der Verordnungsermächtigung ist unverzüglich ein Riegel vorzuschieben. Die Rahmenverträge müssen – wie es im SGB XI seit langem erfolgreich funktioniert – schiedsstellenfähig ausgestaltet sein. So findet ein fairer und sachgerechter Interessensausgleich der ggf. divergierenden Interessen statt.
Gleichstellung privater Träger
Private nicht-gemeinnützige Leistungserbringer müssen in allen Bereichen den privaten gemeinnützigen Leistungserbringern gleichgestellt werden. Dies bezieht sich auch auf Förderungen und steuerliche Regeln. Der bpa schließt sich ausdrücklich der Forderung des Bundesrates an, die Gewerbesteuer-freiheit für aufsuchende Leistungen (ehemals ambulante Leistungen / ambulant betreutes Wohnen) auch mit Rückwirkung auf alle verfahrensrechtlichen offenen Erhebungszeiträume zu prüfen (BR-Drucksache 20/13157).
Letztlich verteuert die Ungleichbehandlung die Leistungen der privaten nicht-gemeinnützigen Leistungserbringer zu Lasten von Leistungsträgern und leistungsberechtigten Personen unnötigerweise. Eine Gleichstellung würde somit auch insgesamt kostensenkend wirken; sowohl hinsichtlich des Verwaltungsaufwands beim Erheben des Bedarfs/der Leistungen als auch bei der Refinanzierung durch die Leistungsträger. Analog muss dies für Leistungen, die im Rahmen des persönlichen Budgets erbracht werden, gelten. Hier darf auch keine Umsatzsteuer fällig werden.
Schnittstelle Eingliederungshilfe und Pflege
Häufig besteht bei Menschen mit Behinderungen neben dem Bedarf an Teilhabeleistungen auch ein Bedarf an pflegerischen Leistungen. Die Unterscheidung, um welche Leistung es sich im Einzelnen handelt, hängt vom Ziel der entsprechenden Leistung ab. Sie ergänzen sich, sind aber nicht sach-identisch. Trotzdem ist die Abgrenzung in der Praxis oftmals schwierig. Die Schnittstelle zwischen SGB IX und SGB XI muss daher zwingend bereinigt und vereinfacht werden. Die Eigenständigkeit der Eingliederungshilfe in ihrer Zielsetzung und Organisation darf dadurch nicht einschränkt werden. Die Personengruppe der älter werdenden Menschen mit Behinderungen, bei denen zum behinderungs-bedingten Pflegebedarf zusätzlich der altersbedingte Pflegebedarf hinzukommt, wird immer größer. Für diese Gruppe braucht es verstärkt Angebote, die einerseits die gestiegenen pflegerischen Bedarfe abdecken, aber auch die Fachlichkeit und Zielrichtung der Eingliederungshilfe berücksichtigen.
Besondere Wohnformen der Eingliederungshilfe sind weiterhin keine Pflegeeinrichtungen, auch wenn sie einen höheren Anteil an pflegerischen Leistungen erbringen und eine stärkere Beteiligung der Pflegekassen an der Finanzierung dieser Leistungen in besonderen Wohnformen erforderlich ist. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass die Eigenständigkeit der Eingliederungshilfe gewahrt bleibt. Die Anwendung pflegerischer Expertenstandards oder sonstiger pflegerischer Anforderungen und Regulierungen durch die Aufsichtsbehörden müssen beschränkt werden. Es muss sichergestellt werden, dass Fachkräfte der Eingliederungshilfe auch pflegefachlich tätig sein dürfen und keine Notwendigkeit besteht, Pflegefachkräfte vorhalten zu müssen – außer für eine komplexe medizinische Behandlungspflege. Im Zweifel muss aufgrund des Teilhabegedankens ein Finanzierungsvorrang der Eingliederungshilfe statuiert werden.
Inklusive Jugendhilfe
Nach jahrzehntelanger Diskussion soll die inklusive Jugendhilfe durch die Gesamtzuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle Kinder und Jugendlichen – ob mit oder ohne Behinderungen – unter dem Dach der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII umgesetzt werden. Der bpa bekennt sich grundsätzlich zu diesem Ziel und teilt diesen inklusiven Ansatz. Die Umsetzung muss aber einen Mehrwert für die betroffenen Familien bieten und umfassend gedacht werden. Die Zusammenführung darf nicht nur eine bloße verwaltungstechnische Umorganisation sein, sondern muss vor allem die Interessen der Kinder und Jugendlichen berücksichtigen.
Des Weiteren ist zu beachten, dass sich die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX und die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII grundlegend voneinander unterscheiden. Die Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ist personenzentriert ausgerichtet. Nur bei der Früherkennung und Frühförderung gem. § 46 SGB IX und den heilpädagogischen Leistungen gem. § 79 SGB IX sind pädagogische Hilfen und die Beratung der Erziehungsberechtigten mit inbegriffen. Die Kinder- und Jugendhilfe hat dagegen einen systemischen Ansatz und nimmt somit vorwiegend das Eltern-Kind-System in den Blick. Die primäre Aufgabe der Jugendhilfe ist dabei, Eltern in ihrer Erziehungsverantwortung zu unterstützen und sie gegebenenfalls (wieder) zu befähigen. Die beiden unterschiedlichen Ansätze des SGB IX und des SGB VIII haben ihre Berechtigung und sind in einer inklusiven Jugendhilfe gewinnbringend für die jungen Menschen zu nutzen. Diese Logiken und unterschiedlichen Entwicklungen sind sinnvoll zusammenzuführen.
Es muss künftig sichergestellt sein, dass es für die leistungsberechtigten jungen Menschen zu keiner Verschlechterung kommt und qualitative Errungenschaften in der Eingliederungshilfe für junge Menschen nach SGB IX, aber auch im Jugendhilferecht nach SGB VIII erhalten bleiben. Ein wesentliches Qualitäts-merkmal ist dabei, dass die Leistungen und Qualitätsanforderungen in Rahmenverträgen abgesichert sind und nicht von der Kassenlage einzelner Kommunen abhängig gemacht werden. Das Vertragsrecht muss für alle Leistungen der reformierten Jugendhilfe und die Rahmenverträge einheitlich und schiedsstellenfähig ausgestaltet sein. Noch bestehende Ungleichbehandlungen privater Anbieter müssen ausnahmslos aufgehoben werden.
Bei der Umsetzung der inklusiven Jugendhilfe sind die Erfahrungen aus der BTHG-Umstellung zwingend zu berücksichtigen. Es darf nicht darum gehen, für die Leistungserbringer nur die Regulierungs- und Nachweisdichte zu erhöhen und für die Leistungsträger neue Verwaltungsaufwände zu schaffen. Zudem müssen die bestehenden Strukturen angemessen berücksichtigt werden. Wo es in den Ländern funktionierende Verwaltungsmechanismen gibt, die – ggf. mit leichten Anpassungen – die inklusive Kinder- und Jugendhilfe umsetzen können, sollte zunächst auf diese zurückgegriffen werden, statt zwingend bundeseinheitliche Strukturen zu schaffen.
Inklusion ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Der Mangel sowohl an Personal als auch an bezahlbarem barrierefreiem Wohnraum schränken das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen massiv ein und erschweren die Umsetzung des BTHG. Solange diese Probleme nicht gelöst sind, wird die vollständige Umsetzung des BTHG und somit auch Inklusion und gleichberechtigte Teilnahme nicht gelingen können. Gleichzeitig dürfen Kostenvorbehalte der Leistungsträger nicht Vorrang vor dem Wunsch des Wohnens in der eigenen Häuslichkeit haben.
Nicht jeder Mensch mit Behinderungen kann und möchte jedoch in einer eigenen Wohnung leben. Daher wird es auch in Zukunft institutionalisierte Angebote geben müssen. Deren teilweise stattfindende Diskreditierung schadet den zahlreichen Menschen, die in den Einrichtungen mit Herzblut tätig sind und sich tagtäglich engagiert für die Umsetzung der UN-BRK und die weitere Entwicklung personenzentrierter Leistungen einsetzen. Vielmehr müssen gesamtgesellschaftlich die Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderungen so verbessert werden, dass sie eine tatsächliche Wahl haben, wo, wie und mit wem sie leben wollen. Die Vielzahl der Einrichtungen – von niedrigschwelligen Diensten, über Beratungsstellen, Tagesstätten, ambulanten Betreuungsangeboten bis hin zu besonderen Wohnformen – müssen in ihrer Vielfalt erhalten bleiben, um das Wunsch- und Wahlrecht absichern zu können. Durch eine niedrigschwellige frühzeitige Unterstützung können einerseits das Wunsch- und Wahlrecht gestärkt und andererseits höhere Hilfebedarfe im Zeitverlauf vermieden werden.
Die Strukturen werden in zehn Jahren vielfach andere sein als heute. Dazu gehört aber auch, dass Leistungsträger und Aufsichtsrecht diese Entwicklung ermöglichen und mitgehen. Denn noch immer hinkt das Ordnungsrecht der leistungsrechtlichen Entwicklung vielfach hinterher, so dass aufgrund formaler Anforderungen eine flexible Leistungserbringung nicht möglich ist.
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