Digitalisierung in der Pflege: Chancen nutzen, Herausforderungen meistern, Zukunft sichern

Die Digitalisierung bietet der Pflegebranche enorme Chancen – gleichzeitig stellt sie eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre dar. Sie ist der Schlüssel zur Verbesserung der Arbeitsprozesse, der Versorgung und der Lebensqualität der Pflegebedürftigen. Doch um diese Potenziale voll auszuschöpfen, müssen die richtigen Bedingungen geschaffen werden, um durch die Verbesserung der Arbeitsprozesse und die Hebung von Effizienzreserven mit dem gleichen Personal mehr pflegebedürftige Menschen versorgen zu können. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels muss dies Ziel und Auftrag aller Bemühungen der Digitalisierung der Pflege sein. 

Die Digitalisierung ist nicht nur eine Chance – sie ist eine Notwendigkeit. Sie muss mit der nötigen Unterstützung und den richtigen Investitionen vorangetrieben werden. Vor diesem Hintergrund hat der bpa zentrale Forderungen formuliert, um die Digitalisierung der Pflege nachhaltig voranzutreiben. Der bpa hat zentrale Forderungen formuliert, um Digitalisierung nachhaltig voranzutreiben. Im Mittelpunkt stehen die Sicherung der Finanzierung – sowohl in Form einer Anschubfinanzierung durch einen Zukunftsfonds sowie einer gesicherten Regelfinanzierung über die Pflege- und Vergütungssätze, die strukturelle Absicherung der Digitalisierung in den Pflegeeinrichtungen, der Abbau bürokratischer Hürden, die digitale Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie die Förderung digitaler Kompetenzen. Werden diese Maßnahmen umgesetzt, wird es künftig möglich sein, noch mehr Menschen eine professionelle pflegerische Versorgung anzubieten. ​ 

Forderungen des bpa zur Digitalisierung der Pflege im Einzelnen 

Anschubfinanzierung 

Die Digitalisierung im Pflegebereich leidet unter einer massiven Schieflage in der Förderpolitik. Mit den insgesamt 4,3 Milliarden Euro aus dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) wurden in den letzten Jahren Krankenhäuser unterstützt, modernisiert und digitalisiert. Die Langzeitpflege wurde dabei weitgehend sich selbst überlassen.  

Ein Blick auf die Verteilung zeigt das Ausmaß der Ungleichheit: In Nordrhein-Westfalen wurden 2023 2,5 Milliarden Euro an 762 Kliniken verteilt, was im Durchschnitt über 3 Millionen Euro pro Krankenhaus bedeutet. Gleichzeitig kämpfen viele Pflegeeinrichtungen mit veralteten Systemen und unzureichender digitaler Infrastruktur, was zu ineffizienten Abläufen und einer enormen Arbeitsbelastung für das Personal führt.  

Die einmalige Förderung für die Pflege von bis zu 12.000 Euro nach § 8 Absatz 8 SGB XI deckt nur einen Bruchteil der Gesamtkosten. Angesichts dieser Ungleichverteilung ist eine nachhaltige und umfassende Finanzierungslösung für die Digitalisierung der Langzeitpflege dringend erforderlich.  

Die Fördermittel müssen unkompliziert, regelmäßig und ohne übermäßige finanzielle Belastung für kleinere Unternehmen abrufbar sein, um eine flächendeckende Digitalisierung sicherzustellen. Andernfalls bleibt die Langzeitpflege digital abgehängt – mit weitreichenden Konsequenzen für Pflegekräfte und Pflegebedürftige gleichermaßen. Die zukünftige Sicherstellung der Versorgung einer wachsenden Zahl Pflegebedürftiger kann nur durch eine Steigerung der Effizienz gewährleistet werden. 

Eine der größten Herausforderungen für Pflegeeinrichtungen ist die Bereitstellung flächendeckenden WLANs mit ausreichender Bandbreite. Bauliche Hindernisse wie dicke Wände, denkmalgeschützte Gebäude und verwinkelte Grundrisse erschweren die Netzabdeckung, während in ländlichen Regionen oft auch die Internetanbindung instabil ist. Gleichzeitig fehlt es häufig an finanziellen Mitteln, um in die notwendige IT-Infrastruktur zu investieren. Ein leistungsfähiges WLAN ist jedoch unerlässlich für die Digitalisierung der Pflege – ohne stabile Netzverbindung können essenzielle digitale Lösungen wie elektronische Pflegedokumentation, Telemedizin oder smarte Assistenzsysteme nicht effektiv genutzt werden, was direkte negative Auswirkungen auf die Versorgung hat. 

FORDERUNG:

Transformation des § 8 Absatz 8: Der Förderansatz nach § 8 Abs. 8 SGB XI muss dringend in einen bundesweiten Zukunftsfonds für die Pflegedigitalisierung überführt werden. Dieser Fonds muss deutlich mehr Mittel bereitstellen, den Eigenanteil drastisch senken und jährliche Abrufmöglichkeiten ermöglichen. Nur so kann er Pflegeeinrichtungen die dringend notwendigen Investitionen in digitale Infrastruktur, Schulungen und kontinuierlichen Support ermöglichen und die Digitalisierung in der Pflege nachhaltig vorantreiben. 

Regelfinanzierung 

Die Digitalisierung ist ein hochdynamisches Thema, das mit einer einmaligen Investition nur einen anfänglichen Effekt erzielen kann. Um den vollen Nutzen aus digitalen Technologien zu ziehen, ist es entscheidend, kontinuierlich zu investieren. Dies umfasst den regelmäßigen Erwerb sowie die Aktualisierung digitaler Produkte, einen zuverlässigen IT-Support, der den reibungslosen Betrieb sicherstellt, sowie die regelmäßige Wartung der Systeme, um Ausfälle zu verhindern und die Lebensdauer der eingesetzten Technologien zu verlängern. 

Um zielgerichtete Investitionen in die Digitalisierung der Pflege zu ermöglichen, sind in erster Instanz eine effiziente Informationsrecherche, die gezielte Vermittlung von Digitalisierungswissen sowie eine fundierte Planung und Umsetzung von Maßnahmen und Change-Prozessen unerlässlich. Diese Anforderungen erfordern zusätzliche Personalressourcen und spezifische Fachkompetenz. Es braucht dringend qualifizierte „Vermittler“ zwischen IT, Verwaltung und Pflegepersonal, die Bedarfe frühzeitig erkennen, die Kommunikation sicherstellen und digitale Transformationsprozesse aktiv vorantreiben. Eine der größten Herausforderungen bleibt jedoch der akute Personalmangel, der durch den demografischen Wandel und den steigenden Bedarf an Pflegeleistungen weiter verschärft wird. Ohne ausreichend Personal, das die Digitalisierung kompetent begleiten kann, wird der Fortschritt in der Pflegebranche erheblich gehemmt. 

Laut dem Statistischen Bundesamt werden in Deutschland bis 2049 mindestens 280.000 Pflegekräfte fehlen – realistisch betrachtet ist mit einem deutlich höheren Defizit zu rechnen. Dieser dramatische Mangel führt zu unbesetzten Stellen und einer massiven Überlastung der verbleibenden Pflegekräfte. Digitale Technologien bieten eine zukunftsweisende Lösung: Sie optimieren Arbeitsabläufe, entlasten das Personal und steigern die Effizienz. Innovationen wie Telepflege ermöglichen flexible Arbeitsmodelle und erweitern das Fachkräfteangebot. Sie können ausgeschiedene Mitarbeitende – etwa während des Mutterschutzes oder im Ruhestand – durch spezialisierte digitale Rollen zurückgewinnen. Die Entlastung durch diese Technologien muss sich jedoch in der Refinanzierung der entstandenen Stellen widerspiegeln, um eine nachhaltige und effiziente Pflege zu gewährleisten. 

FORDERUNG:

Flexible Umwidmung von Personalmitteln: Es muss dringend ermöglicht werden, Personalmittel für Investitionen in digitale Technologien sowie deren langfristigen Betrieb umzuwidmen. Dabei müssen auch wiederkehrende Kosten wie Lizenzgebühren, IT-Betreuung und -Beratung berücksichtigt werden. Nur durch diese Flexibilität können Pflegeeinrichtungen die Digitalisierung nachhaltig vorantreiben. 

Vergütungs- und Pflegesatzverhandlungen: Die Kosten für IT-Support, Betrieb, Wartung und die Schulung des Personals müssen zwingend als feste Posten in die Vergütungs- und Pflegesatzverhandlungen des SGB V und XI aufgenommen werden. 

Nachhaltige Implementierung durch die gezielte Refinanzierung neuer Stellen: Jede Einrichtung muss die Möglichkeit bekommen, die Digitalisierung im eigenen Unternehmen koordiniert, effizient und strukturiert voranzutreiben – unter anderem durch die Schaffung neuer Stellen als Bindeglied zwischen IT und Pflege, notwendige Organisationsentwicklung sowie perspektivisch im vielversprechenden Bereich der Telepflege mit einer Aufnahme telepflegerischer Tätigkeiten in die Leistungskataloge SGB V und XI. Die Finanzierung dieser Stellen muss dabei sichergestellt werden. 

Digitalisierung als Thema in Aus- Fort- und Weiterbildung 

Digitale Kompetenzen in der Ausbildung sind entscheidend für die erfolgreiche Digitalisierung der Pflege. Pflegekräfte müssen in der Lage sein, moderne Technologien zu bewerten und effektiv zu nutzen, da diese Fähigkeiten in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt immer mehr gefordert werden. Die Integration digitaler Module in den Ausbildungsplan liegt derzeit jedoch in der Verantwortung der Pflegeschulen und ist bundesweit uneinheitlich geregelt. Zwar verweist der Rahmenlehrplan des Bundes auf die Nutzung digitaler Dokumentation und technischer Lösungen zur Patientensicherheit, doch werden diese Themen in den Lehrplänen oft nur unzureichend behandelt. Ein zentrales Problem besteht darin, dass Lehrkräfte oft über zu wenig praktische Erfahrung mit digitalen Technologien im Pflegealltag verfügen und es an gezielten Weiterbildungsangeboten fehlt, um ihre digitalen Kompetenzen zu erweitern. Dadurch wird die Vermittlung der notwendigen digitalen Fähigkeiten in der Ausbildung erheblich erschwert.  

Außerdem müssen die Potenziale der Videopräsenzlehre auch für die Weiterbildung zur Praxisanleitung nutzbar gemacht werden. Während der Corona-Pandemie, als digitale Teilnahmeoptionen eingeführt wurden, war eine Teilnahme an den Veranstaltungen auch online möglich. Seitdem jedoch die Präsenzpflicht wieder eingeführt wurde, sind die Teilnehmerzahlen stark zurückgegangen.  

Gleiches gilt auch für den theoretischen Unterricht in der Ausbildung: Besonders in ländlichen Gebieten sind Auszubildende oft von langen Anfahrtswegen betroffen, was die Attraktivität der Pflegeausbildung zusätzlich mindert. 

FORDERUNG:

Videopräsenzlehre (Weiterbildung): Schaffung einer rechtlichen Grundlage für die vollständige Digitalisierung von Qualifikationen und Weiterbildungen, insbesondere der Praxisanleitung (300 Stunden), durch Videopräsenzlehre. 

Videopräsenzlehre (Ausbildung): Ermöglichung der ortsunabhängigen Videopräsenzlehre in der Ausbildung. 

Digitale Kompetenzen: Verpflichtende Weiterbildungsangeboten zu digitalen Kompetenzen für Lehrende in der Pflege.   

Entbürokratisierung und De-Regulierung 

Die Fraunhofer IML-Studie aus 2023 zeigt, dass Pflegekräfte durchschnittlich 109 Minuten pro Schicht mit der Dokumentation verbringen – mehr als eine volle Stunde täglich, die der direkten Patientenversorgung verloren geht. Digitale Dokumentationssysteme, insbesondere KI-gestützte Sprachdokumentation, bieten hier eine erhebliche Entlastung. So belegen Erkenntnisse der Charité, dass durch den Einsatz solcher Systeme durchschnittlich 39 Minuten pro Schicht eingespart werden können. 

Das entspricht einer wöchentlichen Zeitersparnis von rund 195 Minuten bei einer 5-Tage-Woche – also etwa 169 Stunden pro Jahr für jede Vollzeitpflegekraft. In einer Pflegeeinrichtung mit etwa 60 Pflegekräften summiert sich das freigesetzte Potenzial auf knapp 10.140 Stunden jährlich, was dem Arbeitsaufwand von rund 5 Vollzeitkräften entspricht. Hochgerechnet auf die gesamte Pflegebranche bedeutet dies eine Freisetzung von mehr als 75.000 Vollzeitstellen, die direkt in zusätzliche Versorgungskapazitäten reinvestiert werden könnten – jede Minute, die durch effizientere Dokumentation eingespart wird, entschärft die angespannte Situation. Damit wird deutlich: Allein die Digitalisierung der Dokumentation ist eine notwendige Maßnahme, um die Versorgungssicherheit langfristig zu gewährleisten und die Pflege zukunftsfähig zu machen. 

Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, müssen jedoch die richtigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Dabei spielt auch die Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) unter Berücksichtigung der Anforderungen von Pflegeeinrichtungen eine zentrale Rolle. Das weiterhin erforderliche Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) steht im klaren Widerspruch zu den Zielen einer effizienten Digitalisierung. Es ist unverständlich, dass dieses veraltete, analoge Verfahren alle 90 Tage nach wie vor durch das zeit- und personalintensive Einsammeln und Stecken der Karten in ein Lesegerät durch die Pflege erfolgen muss. Hier muss dringend eine Lösung gefunden werden, die digitale Identitäten nutzt, um das überflüssig zu machen. 

 Ebenso muss die Freigabe von Zugriffsrechten auf die elektronische Patientenakte über die gesamte Versorgungsdauer technisch ermöglicht werden. 

Bewährte digitale Angebote, die derzeit nur befristet und eingeschränkt möglich sind, müssen entfristet werden, um langfristige Planungssicherheit zu erhalten. Das umfasst bspw. die digitalen Beratungsbesuche nach § 37 Abs. 3 SGB XI.  

Gleichermaßen sind klare Vorgaben für einheitliche Schnittstellen in der Digitalisierung der Pflege, erforderlich. Diese fehlenden oder uneinheitlichen Schnittstellen stellen ein erhebliches Hindernis dar, da sie den reibungslosen Austausch wichtiger Daten zwischen verschiedenen Systemen und Einrichtungen verhindern. Für Pflegekräfte bedeutet dies zusätzlichen Aufwand, etwa wenn digital erfasste Daten zur Vitalzeichenerfassung manuell in Primärsysteme übertragen werden müssen – ein Vorgang, der den Sinn der digitalen Datenerfassung zunichtemacht. 

Die Praxis, Schnittstellen als Geschäftsmodell zu nutzen, muss beendet werden. Pflegeeinrichtungen sind gezwungen, teure IT-Ressourcen vorzuhalten, um sinnvolle Lösungen von unnötigen unterscheiden zu können. Einheitliche, verpflichtende Schnittstellen würden das Vertrauen in Softwareanbieter stärken, die Entscheidungsfindung vereinfachen und Arbeitsabläufe optimieren. Vor allem aber gewährleisten sie die Interoperabilität zwischen digitalen Systemen und tragen so wesentlich zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung in der Pflege bei.

FORDERUNG

Einsatz digitaler Identitäten: Das weiterhin erforderliche, zeit- und personalintensive Einlesen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) muss dringend durch eine Lösung ersetzt werden, die digitale Identitäten nutzt. Damit wird das veraltete, analoge Verfahren überflüssig gemacht. 

Vereinfachung des Zugriffs auf die elektronische Patientenakte (ePA): Die Freigabe von Zugriffsrechten auf die ePA muss für die gesamte Versorgungsdauer technisch ermöglicht werden, um unnötige und wiederholte Freigaben zu vermeiden. 

Einheitliche Schnittstellen in der Pflege: Die Notwendigkeit für einheitliche Schnittstellen und IT-Standards für Pflegedokumentationssysteme und digitale Anwendungen muss erkannt werden. Gleichzeitig müssen eben diese Schnittstellen entwickelt und verpflichtend eingeführt werden. 

 

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