Es ist Zeit: Entbürokratisierung in der Pflege endlich umsetzen
Die Pflege hat enormes Potential zur Entbürokratisierung. Kaum ein Wirtschaftsbereich ist vergleichbar eng reguliert. Die zahlreichen Melde-, Berichts- und Nachweispflichten sowie die Notwendigkeit, für zahlreiche Aufgaben gesondert Beauftragte benennen zu müssen, binden immer mehr Personalkapazitäten sowohl in den Pflegeeinrichtungen als auch bei den Kostenträgern und Behörden. Das verschärft den Fachkräftemangel und gefährdet die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung.
Durch entschlossenes Handeln und den systematischen Abbau überflüssiger bürokratischer Vorgaben kann die wirtschaftliche Situation der Pflegeunternehmen gestärkt, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessert und mehr Zeit für die Versorgung der pflegebedürftigen Menschen gewonnen werden. Die Bundesregierung hat dies erkannt und in ihrem Koalitionsvertrag einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Vertrauen und „massiv“ weniger Bürokratie angekündigt. Diesem Versprechen müssen nun Taten folgen. Begonnen werden muss bei einer grundlegenden Überarbeitung des Pflegekompetenzgesetzes, welches in seiner letzten Entwurfsfassung eine Vielzahl von neuen Belastungen eingeführt hätte.
Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz unterstützt mit ihrem im Dezember 2024 gefassten Beschluss zur Entbürokratisierung der Langzeitpflege das Ziel einer nachhaltigen Veränderung. Die Länder haben einstimmig formuliert, dass „es einer konsequenten Vereinfachung und Flexibilisierung und mehr Vertrauen in die Pflege [bedarf], um den Betrieb auch einer kleinen Pflegeeinrichtung attraktiv zu machen, ohne ihn mit kaum durchschaubaren komplexen Anforderungen zu überziehen.“ Der Bundesrat teilt diese Forderungen (BR-Drs. 2/25).
Der bpa unterbreitet konkrete Vorschläge, wie die Entbürokratisierung in der Pflege nun umfassend, spürbar und nachhaltig angegangen werden kann.Dazu gehören ein Stoppschild für neue Belastungen, der Start einer Entbürokratisierungsoffensive, die Vereinfachung von Pflegesatz- und Vergütungsverhandlungen, ein Abbau von unnötigen Vorgaben, die Entlastung von Personalreserven durch ein Ende diverser Berichts- und Meldepflichten sowie Doppelprüfungen, einer Entschlackung des Vertragsrechts, dem Leben von Digitalisierung sowie der konsequenten Beschleunigung von Anwerbung und Anerkennung ausländischer Pflegekräfte.
1. Keine neuen Belastungen | Entbürokratisierungsoffensive starten
Die in der vergangenen Legislaturperiode diskutierten Neu-Belastungen, bspw. in Form der WBVG-Reform oder der im Pflegekompetenzgesetz vorgesehenen Verpflichtungen, dürfen in der Form nicht erneut aufgegriffen werden. Der Bundesgesetzgeber muss zudem die Verpflichtung zum Erlass von Hygieneverordnungen nach § 35 Abs. 3 IfSG zurücknehmen, bevor weitere Länder die Regularien umsetzen (bisher nur in Brandenburg erfolgt). In Umsetzung des ASMK-Beschlusses sollten die Länder eine Selbstverpflichtung zum Bürokratieabbau im Landesrecht umsetzen und über die ASMK eine Best-Practice-Sammlung koordinieren.
Jede Reform muss zunächst unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, wie sie Pflegeeinrichtungen entlasten kann. Für jede neue Belastung müssen zwei gleichwertige bestehende gestrichen werden (One in, two out-Regelung). Die Bundesregierung muss überdies den Auftrag an die Selbstverwaltung zum Bürokratieabbau, beispielsweise über den Qualitätsausschuss Pflege, erteilen. Ohne ein unmissverständliches politisches Signal werden die Kostenträger keine Bereitschaft für umfassende Erleichterungen zeigen. Die Deregulierung muss ebenfalls Maßnahmen umfassen, die nur aufgrund politischer Vorgaben durch die Selbstverwaltung beschlossen wurden, beispielsweise zu Krisenkonzepten, Hitzeschutz oder Weiterbildungspflichten für Betreuungskräfte. Der Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit an den Qualitätsausschuss Pflege zur Ausformulierung neuer Vorgaben zum Gewaltschutz für jede Pflegeeinrichtung in Deutschland weniger als eine Woche nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags stellt das Gegenteil der dortigen Ankündigung einer neuen Vertrauenskultur dar. So wird die Pflege durch politisch vorgegebene Maßnahmen der Selbstverwaltung weiter gelähmt. Der Auftrag muss daher ersatzlos gestrichen werden.
2. Verhandlungen vereinfachen
Das derzeit bestehende Verhandlungssystem führt zu langwierigen Verhandlungen, einer Überlastung der Schiedsstellen und einer wirtschaftlichen Schlechterstellung der Pflegeeinrichtungen. Die Pflegesatz- und Vergütungsverhandlungen müssen daher drastisch vereinfacht und optimiert werden. Um die Verhandlungen erheblich zu beschleunigen und zu vereinfachen, ist gesetzlich klarzustellen, dass stets die Möglichkeit der kollektiven, schiedsstellenfähigen Verhandlung auf Landesebene besteht. Neben einer deutlich kürzeren Verfahrensdauer würde dies zu einer spürbaren Entlastung des Personals in den Pflegeeinrichtungen und bei den Kostenträgern beitragen.Personalkosten in Pflegesatz- und Vergütungsverhandlungen müssen auch ohne Einzelnachweise anerkannt werden, soweit diese innerhalb der Wirtschaftlichkeitsgrenzen liegen. Erst darüber hinaus sollten Nachweise von Mehrkosten erforderlich sein. In der ambulanten Pflege wird mit den Kostenträgern nach dem SGB XI und nach dem SGB V über die gleichen Personal- und Sachkosten für die Leistungserbringung separat verhandelt. Um Verhandlungen nicht doppelt führen zu müssen und die Planungssicherheit zu erhöhen, muss gesetzlich sichergestellt sein, dass eine im Bereich des SGB XI vereinbarte Kostensteigerung im Bereich des SGB V nicht als unwirtschaftlich abgelehnt werden kann.
Das regelmäßig wochenlang dauernde Unterschriftenverfahren nach einer Vergütungsverhandlung muss abgelöst werden durch die für alle anderen Kostenträger bindende Unterschrift des die Verhandlung führenden Kostenträgers.
3. Prozesse vereinheitlichen, Vorgaben entrümpeln
In jedem Bundesland gibt es unterschiedliche Meldepflichten, Prozesse, Anerkennungsvoraussetzungen, Antragsverfahren und Fristen. Dies betrifft unter anderem Zulassungsverfahren, Meldungen beim Wechsel einer PDL oder der Geschäftsführung sowie Vergütungs- und Pflegesatzverfahren. Besonders problematisch ist überdies das unterschiedliche Bau- und Heimrecht, welches keine einheitliche Planung möglich macht. Die föderale Vielfalt ist hinderlich und ohne Mehrwert. Die Verfahren müssen daher bundesweit vereinfacht und vereinheitlicht werden. Darüber hinaus muss das Antrags- und Genehmigungswesen der Kostenträger komplett digitalisiert werden. Aufgrund der Komplexität von Anträgen sowie der langen Bearbeitungszeiten seitens der Kranken- und Pflegekassen bleiben Pflegebedürftigen die ihnen zustehenden Leistungen teilweise verwehrt. Dies betrifft u.a. Sach- und Kombinationsleistungen, Leistungen der Tagespflege oder der Verhinderungspflege. Die Notwendigkeit vorheriger Antragstellung muss abgeschafft und stattdessen durch die Anerkennung der Rechnung als Antrag ersetzt werden.
Zur Zulassung und für den Betrieb einer Pflegeeinrichtung sind eine Vielzahl an Konzepten vorzulegen und kontinuierlich zu überarbeiten (z.B. Konzepte für Krisensituationen, besonderes Hygienemanagement, Hitzeschutz, Gewaltschutz, Beschwerdemanagement, Mitbestimmung oder zur Mitwirkung bürgerschaftlichen Engagements). Dies bindet enorme personelle Ressourcen, die für die tatsächliche pflegerische Versorgung fehlen. Zudem sind die Konzepte überflüssig, da im Rahmen der Regelprüfungen durch den Medizinischen Dienst und der Heimaufsicht bereits eine regelmäßige Kontrolle stattfindet, ob eine qualitativ hochwertige pflegerische Versorgung erbracht wird. Die in den Konzepten beschriebenen Maßnahmen würden durch den Wegfall der Verpflichtung zum Vorhalten dieser Konzepte nicht entfallen, da sie wie bisher auch bereits Teil der pflegerischen Versorgung sind. Gleichwohl würden sowohl die Pflegeeinrichtungen entlastet als auch die Heimaufsichten und Medizinischen Dienste, die nicht zusätzlich noch Konzepte prüfen müssen. Letzteres steht außerdem im Widerspruch zum geltenden Prüfverständnis, nachdem der beratungsorientierte Ansatz im Vordergrund stehen und Konzept- und Dokumentationsprüfungen eine verringerte Bedeutung zukommen soll.
4. Personelle Potentiale durch gezieltes Ressourcenmanagement optimieren und heben
1. Meldungen zum Pflegeausbildungsfonds | Abrechnung Ausbildungszuschlag
Die gesamte Organisation der Pflegeausbildungsfonds muss drastisch vereinfacht werden. Diese muss im Bund zentralisiert werden; 16 Doppelstrukturen jeweils mit eigener Verwaltung sind nicht erforderlich. Die Meldungsfülle muss ebenfalls erheblich reduziert werden. Das betrifft u.a.:
Die Aufbereitung und Übermittlung der regelmäßigen stichtagsbezogenen Daten zur Ermittlung des Finanzierungsbedarfes
Die Jahresmeldung für künftige Auszubildende gem. § 5 Abs. 1, 2 PflAFinV
Die Umlagemeldung gem. § 11 Abs. 2 bis 4 PflAFinV
Die An- und Abmeldung und ggf. Änderungsmeldungen von Auszubildenden beim Pflegeausbildungsfonds
Die Aufbereitung und Übermittlung der Abrechnung der Ausgleichszuweisungen gem. § 16 PflAFinV
Die Aufbereitung und Übermittlung der Abrechnung der Umlagebeträge gem. §17 PflAFinV
Weiterhin sollte das aufwändige Verfahren zur Abrechnunggrundlegend überarbeitet werden, bei dem ein Ausbildungszuschlag auf jede einzelne Pflegeleistung in der Rechnung ausgewiesen werden muss.
2. Verzögerte Berufszulassung
Nach bestandener Abschlussprüfung müssen Pflegefachkräfte oft Wochen bis Monate auf ihre Berufserlaubnis warten, was den Berufseinstieg unnötig verzögert. Hier muss gelten: Wer die Abschlussprüfung als Fachkraft nach dem Pflegeberufegesetz besteht, muss unmittelbar den Beruf ausüben dürfen, nicht erst nach Erteilung der Berufserlaubnis. Die Lösung ist die Digitalisierung der Abläufe (wie bereits in einigen Bundesländern umgesetzt), verpflichtend für alle Bundesländer, so dass das Verfahren zur Ausstellung der Zeugnisse wie Berufsurkunden bereits vor der letzten mündlichen Prüfung abgeschlossen ist. Die/Der Prüfungsvorsitzende kann so bei Bestehen der Prüfung die vorbereiteten Zeugnisse und Urkunden am letzten Prüfungstag den Prüflingen - ohne zeitliche Verzögerung - aushändigen.
3. Intransparente Förderstrukturen
Die Förderangebote der Bundesagentur für Arbeit für Umschüler:innen, Berufsrückkehrer:innen und Aufstocker:innen im SGB II/III sind zu vereinfachen und vereinheitlichen. Menschen, die in der Pflege tätig werden wollen, müssen stets die volle Förderung erhalten.
4. Vorgaben zur Tarifpflicht reformieren
Die Tariftreueregelung bedeutet für Pflegeeinrichtungen einen enormen bürokratischen Erfüllungsaufwand, und zwar nicht nur bei der Implementierung, sondern durch erforderliche und oft kurzfristige Anpassungen, Meldungen, Kontrollen etc. Die Orientierung an einem Tarifvertrag oder kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) geht mit einem hohen Such- und Prüfaufwand einher und birgt das Risiko fehlender Rechtssicherheit.
Die Umsetzungsfrist von der Veröffentlichung neuer regionaler Entgelte durch die Pflegekassen oder tariflicher Änderungen bis zur betrieblichen Umsetzung muss auf vier Monate zum Umsetzungstermin 1. Januar verlängert werden; zur Verhinderung eines doppelten Umsetzungsaufwandes dürfen die Zeitpunkte für Veränderungen von Pflegesätzen und Ausbildungszuschlägen nicht auseinanderfallen.
Pflegeeinrichtungen müssen niedrigschwellig auf alle Tarifverträge und kirchlichen AVR zugreifen können, damit sie ihr Wahlrecht überhaupt ausüben können.
5. Personal-Stichtagsmeldungen abschaffen
Die in vielen Bundesländern teilweise für stationäre, teilstationäre und auch für ambulante Einrichtungen geforderten Stichtagsmeldungen, die der Erfassung und Überprüfung des Personalbestands in Pflegeeinrichtungen dienen sollen, stellen eine weitere zusätzliche und nicht notwendige Belastung dar. Einzelne Tage spiegeln nicht den Rest der pflegerischen Versorgung im Jahr wider. Die Personalausstattung wird im Rahmen der externen Qualitätsprüfungen in Dienst- und Einsatzplänen zusätzlich über einen längeren Zeitraum überprüft. Für den laufenden Betrieb ergibt sich aus der Stichtagsmeldung kein Mehrwert.
6. Pflegedokumentation vereinfachen und digitalisieren
Mit der Einführung der Strukturierten Informationssammlung (SIS®) sind bereits gute Ansätze für eine deutliche Verschlankung der Pflegedokumentation vorhanden. Andererseits bestehen in der Praxis divergierende Auffassungen zur Pflegedokumentation nach dem Strukturmodell, die in Qualitätsprüfungen wiederkehrend zu Unstimmigkeiten führen. Dies betrifft die Themen: Detaillierungsgrad der Maßnahmenplanung, Risikomatrix und die Verwendung zusätzlicher Assessments, Umfang und Aktualität SIS®. Hier werden von den Prüfdiensten zum Teil Anforderungen an die Praxis herangetragen, die sich nicht aus den Prinzipien des Strukturmodells ableiten lassen bzw. diese konterkarieren.
Dies hat zur Folge, dass die Qualitätsprüfung in der Wahrnehmung der Pflegeeinrichtungen mehr Anforderungen an die Pflegedokumentation mit sich bringt, als das Strukturmodell vorgibt.
Es muss ein einheitliches Verständnis zwischen Pflegeeinrichtung und Prüfinstitution über den Detaillierungsgrad der zu dokumentierenden Maßnahmen hergestellt werden. Die Arbeitshilfen des Lenkungsbüros EinSTEP müssen daher als Richtlinie für die Prüfinstitutionen gelten. Der Einsatz digitaler Dokumentationssysteme, inklusive KI-Nutzung und Spracherkennung, muss vorangetrieben werden. In diesemZusammenhang ist es essenziell, dass einheitliche Schnittstellen und IT-Standards für Pflegedokumentationssysteme und digitale Anwendungen gemeinsam entwickelt und verpflichtend eingeführt werden.
In diesem Zusammenhang müssen Rahmenverträge nach § 75 SGB XI in allen Bundesländern so ausgestaltet werden, dass im Zeitalter der Digitalisierung keine aktuelle schriftliche Dokumentation (Leistungsnachweise, Pflegeberichte) mehr beim Pflegebedürftigen vor Ort vorhanden sein muss.
7. Melde-, Berichts- und Nachweispflichten verringern
Es gibt zahlreiche Melde-, Berichts- und Nachweispflichten, die sich aus verschiedenen gesetzlichen und behördlichen Vorgaben (z.B. Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, Prüf- und Berichtspflichten nach dem LkSG, Pflicht zur Einführung von Managementsystemen und Veröffentlichungs- und Berichtspflichten nach dem EnEfG,Meldung von Infektionskrankheiten nach § 8 IfSG, Anforderungen aus den Hygieneverordnungen nach § 35 Abs. 3 IfSG oder dem Heimrecht der Länder) ergeben. Diese müssen umfassend überarbeitet bzw. für die Pflege ersatzlos gestrichen werden.
Es gibt zudem weitere Dokumentationspflichten, die entbehrlich sind. So sehen beispielsweise die Maßstäbe und Grundsätze zur Qualitätssicherung vor, dass Speise- und Reinigungspläne Bestandteil der Dokumentation sind.
Der Grundsatz muss sein, dass Meldungen oder Dokumentationen nur bei entsprechender Relevanz erfolgen müssen. Dies gilt auch für die vielfachen Statistikpflichten (Pflegestatistik, Gewerbestatistik, Verdiensterhebung etc.). Es darf keine Mehrfachabfrage von Daten geben, die staatlichen Stellen bereits vorliegen. Alle weiteren Abfragen sind auf ihre zwingende Notwendigkeit zu prüfen und im Zweifel abzuschaffen.
Die umfassenden Aufbewahrungspflichten (z.B. für Dienstpläne oder Tourenpläne) müssen ebenfalls reduziert werden. In dem Zusammenhang muss auch geprüft werden, inwieweit eine Vereinheitlichung erfolgen kann.
Die Vielzahl an technischen Prüf- und Dokumentationspflichten in Pflegeeinrichtungen (z. B. regelmäßige Prüfungen elektrischer Geräte, Wartung von Türfeststellanlagen oder aufwendige Trinkwasseranalysen) bindet erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen, ohne in jedem Fall einen nachweisbaren Mehrwert für die Versorgungsqualität zu liefern. Eine systematische Entbürokratisierung ist dringend erforderlich, um Pflegekräfte und Leitungspersonal zu entlasten und mehr Zeit für die eigentliche Pflege zu schaffen. Ziel muss eine praxisnahe Regulierung sein, die Sicherheit gewährleistet, aber überflüssige Auflagen abbaut.
8. Keine unnötigen Prüfungen
Vielfach prüfen Medizinischer Dienst (MD) und Heimaufsicht ähnliche oder gar identische Aspekte. Dies bindet sowohl bei den Prüfinstitutionen als auch den Einrichtungen wertvolle Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Doppelprüfungen von MD und Heimaufsicht darf es nicht mehr geben.
Regelprüfungen alle zwei Jahre sind ausreichend. Dies entlastet die Einrichtungen und gibt den Prüfbehörden die nötigen Kapazitäten für zeitnahe Beratungsleistungen und notwendige Anlassprüfungen.
Prüfungen durch Dritte, bspw. der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter oder des Gesundheitsamtes im Rahmen von Hygienebegehungen, müssen angesichts der intensiven Regulierungs- und Prüfdichte komplett abgeschafft werden.
Auch sonstige Doppelstrukturen, bspw. hinsichtlich des Arbeitsschutzes und dortiger, größtenteils identischer Prüfungen durch Berufsgenossenschaft und staatlichem Arbeitsschutz sind aufzulösen.
9. Vertragsrecht vereinfachen
Das Vertragsrecht für Pflegeverträge ist zu komplex. Für Pflegeeinrichtungen stellt der bürokratische Aufwand erhebliche Belastungen dar, die im schlimmsten Fall sogar zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Ausfällen führen können. Für die versorgten Personen ist der ursprüngliche Schutzgedanke der vertragsrechtlichen Vorgaben hingegen schon lange nicht mehr erfüllt, da die erforderlichen Unterlagen aufgrund ihrer Komplexität und Länge kaum ohne professionelle Beratung verständlich sind. Eine zielgerichtete und umfassende Vereinfachung ist daher erforderlich.
Es braucht deutliche Erleichterungen für die Entgelterhöhungsschreiben. Für mit öffentlichen Kostenträgern vereinbarte Entgelte ist eine konkrete Begründung der Veränderung der Berechnungsgrundlage nicht notwendig und ersatzlos zu streichen. Gleiches gilt für das Schriftformerfordernis.
Die komplexen Regelungen des WBVG zur Vertragsanpassung bei Änderung des Pflege- und Betreuungsbedarfs sind bei Verbraucher:innen, die Leistungen nach dem SGB XI in Anspruch nehmen, deutlich zu vereinfachen. Ein von der Pflegekasse zuerkannter Pflegegrad muss automatisch auch im Verhältnis zwischen Einrichtung und Verbraucher:in verbindliche Geltung erlangen. Die aktuell erforderliche vorherige schriftliche Darstellung und Begründung zur Änderung des Pflege- und Betreuungsbedarfs durch die Einrichtung ist überflüssig; die Feststellung einer Änderung des Pflege- und Betreuungsbedarfs erfolgt ohnehin im Rahmen der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst.
Es muss eine Räumungsbefugnis für die Fälle eingeführt werden, in denen innerhalb einer bestimmten Frist nach dem Tod oder nach Auszug einer Verbraucherin oder eines Verbrauchers keine vertretungsberechtigte Person oder keine Rechtsnachfolgerin bzw. kein Rechtsnachfolger ermittelt werden kann oder diese Personen die Räumung nicht binnen angemessener Frist vornehmen sowie die Einlagerung des Nachlasses und Übernahme der angemessenen Kosten hierfür aus dem Nachlass nicht ermöglichen kann.
Sämtliche Pflegeverträge sind aus dem Anwendungsbereich des Widerrufsrechts nach § 356 BGB auszunehmen, da die Einhaltung der gesetzlichen Informationspflichten mit einem immensen Bürokratieaufwand für Unternehmen einhergeht, ohne dass ein Nutzen in Form eines besseren Schutzniveaus besteht.
Die Pflicht über detaillierte und individualisierte vorvertragliche Informationen ist auf ein absolutes Minimum zu begrenzen. Eine grundsätzliche Darstellung des Leistungsangebotes und der entsprechenden Entgelte genügt zur Vorabinformation – auch aus Sicht des Verbrauchers - vollkommen.
10. Pflegeberatung erleichtern
Für die Beratung nach § 37 Abs. 3 SGB XI gibt es ein bundeseinheitliches Dokumentationsformular und die Abrechnung ist unkompliziert über einheitliche Stundenvergütungen möglich, die auf Landesebene zwischen den Pflegekassen und den Leistungserbringern ausgehandelt werden. Dagegen ist die Pflegeberatung nach § 45 SGB XI, die nahezu identische Inhalte und die gleiche Zielgruppe hat, in Rahmenverträgen zwischen den einzelnen Pflegeverbänden und den einzelnen Kassen geregelt. Entsprechend gibt es hier eine Vielzahl an Einzelregelungen, u.a. verschiedene Dokumentations- und Abrechnungsformulare und Vergütungs-modalitäten, je nach Kasse. Die Pflegeberatung nach § 45 SGB XI muss daher ebenso einheitlich geregelt werden, wie die Pflegeberatung nach § 37 Abs. 3 SGB XI.
5. Digitalisierung leben
Die gesamte Kommunikation mit Kostenträgern muss ausschließlich digital und medienbruchfrei möglich sein, von der Übermittlung von Dokumenten (z.B. Information über erfolgte Höherstufungen durch die Pflegekasse an die Pflegeeinrichtung) und Verordnungen (z.B. über Leistungen der HKP) über die Kommunikation bis hin zur Abrechnung. Kostenträger, die diese Prozesse nicht ermöglichen können, müssen einen Aufschlag auf die von ihnen gezahlten Vergütungen leisten.
Wann immer Unterschriften notwendig sind, bspw. bei der Zulassung von Einrichtungen, zum Abschluss von Vergütungs- und Pflegesatzverfahren oder bei Leistungsnachweisen, müssen diese ausschließlich elektronisch möglich sein.
In allen Aus- und Weiterbildungen muss die freiwillige Möglichkeit zur Teilnahme per Videopräsenzlehre gegeben sein. Das spart Fahrt- und Lebenszeit, stärkt die Work-Life-Balance und sichert insbesondere in strukturschwachen Gegenden die Bereitschaft zur Weiterbildung. Beispielhaft sei auf die Praxisanleiter-Zusatzqualifikation in § 4 Abs. 3 und 4 PflAPrV verwiesen. Es muss daher eine rechtliche Grundlage zur vollständigen Digitalisierung der Qualifikation bzw. Weiterbildung zur Praxisanleitung (300 Stunden) sowie sämtlicher weiterer Weiterbildungen in Videopräsenzlehre geschaffen werden.
Der Mehrwert der Telematikinfrastruktur muss im Pflegealltag spürbar werden. Hierzu bedarf es der Möglichkeit, elektronische Rezepte weitestgehend automatisiert nachfordern zu können (Dauermedikation), den Weiterleitungsprozess von der Arztpraxis zur Apotheke unter Einbezug der Pflegeeinrichtung vollständig automatisch zu gestalten, inklusive der Übernahme von Anpassungen in die Dokumentation und den Medikationsplan ohne aktives Handeln der Pflegekräfte. Ebenso muss die Notwendigkeit, die elektronischen Gesundheitskarten vierteljährlich in der Arztpraxis einlesen zu müssen, abgeschafft werden.
Regulatorische Hürden, die den Einsatz digitaler Lösungen beschränken, müssen abgebaut werden.
6. Einwanderung beschleunigen und Berufsanerkennung vereinfachen
Die Anerkennung ausländischer Pflegekräfte muss erheblich beschleunigt werden. Visaverfahren müssen weiter digitalisiert werden, damit diese schneller durchgeführt werden können. Vermittlungs- und Vorbereitungskosten sind über Bundesprogramme verstärkt zu fördern.
Die Anerkennung sollte bundeseinheitlich erfolgen; ersatzweise muss zumindest in jedem Bundesland eine zentrale Stelle die Zuständigkeit innehaben.
Für jede mind. dreijährig beruflich oder akademisch ausgebildete Pflegefachkraft aus dem Ausland mit den zur Berufsausübung erforderlichen deutschen Sprachkenntnissen (B2) muss im Rahmen einer Kompetenzvermutung eine unmittelbare Tätigkeit als Fachkraft möglich sein. Auflagen von ggf. erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen sollen nachträglich berufsbegleitend erfüllt werden können.
Geflüchtete und Asylbewerber müssen ab dem ersten Tag in Deutschland in der Pflege arbeiten dürfen bzw. Sprach- und Qualifizierungskurse durchlaufen können, auch unterhalb der Ausbildung z.B. für einen Pflegebasiskurs oder als Betreuungskraft nach § 53b SGB XI. Asylsuchende, die sich in der Pflege, auch im Assistenz- oder Helferbereich, in Deutschland bereits etabliert haben, sollten schneller eine Anerkennung erhalten, unabhängig davon, ob ihr Herkunftsland sicher ist oder nicht.
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