Stärkung der Pflegeausbildung

Hintergrund

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Bis zum Jahr 2030 wird die Zahl der Pflegebedürftigen laut Barmer Pflegereport 2021 um weit über eine Million auf etwa sechs Millionen steigen. Jüngst wurde das BMG nach eigenen Aussagen von der Zahl der Pflegebedürftigen bzw. dem Zuwachs im Jahr 2023 „überrascht“[1]. Demografisch bedingt sei für 2023 nur mit einem Zuwachs von 50.000 Personen zu rechnen gewesen, letztlich beträgt das Plus über 360.000 Personen, so dass sich die Zahl der Pflegebedürftigen bereits für 2023 auf rund 5,6 Millionen beziffern lässt. Noch bevor diese Werte veröffentlicht wurden, publizierte das Statistische Bundesamt im Januar dieses Jahres im Rahmen seiner Pflegekräftevorausberechnung, das bis 2029 zwischen 60.000 (Trend-Variante) und 260.000 (Status quo-Variante) Pflegekräfte bundesweit fehlen werden. Dabei berücksichtigt die sogenannte „Trend-Variante“ neben der demografischen Entwicklung auch die positiven Trends am Pflegearbeitsmarkt aus den 2010er Jahren und die somit vermeintlich vorhandenen Potenziale, die sich für das Angebot an Pflegekräften bei einer Fortsetzung dieser Entwicklung in den Pflegeberufen ergeben.[2] An der Stelle wird deutlich, dass die Trendumkehr durch die Einführung der generalistischen Pflegeausbildung noch nicht an jeder Stelle angekommen ist. Denn scheinen die Ausbildungszahlen zwar stabil, so steigen die Abbruch- und Durchfallquoten. 

Dies allein wird Zehntausende zusätzliche Pflegefachkräfte erfordern. Durch die Einführung der Personalbemessung in den Pflegeheimen werden darüber hinaus 120.000 weitere Kräfte, über-wiegend qualifiziertes Assistenzpersonal, benötigt. Insgesamt können demnach bis zum Jahr 2030 bis zu 200.000 Pflegefach- und Hilfskräfte fehlen. Auf der anderen Seite sinkt das Erwerbstätigenpotential in den kommenden Jahren, eine Entwicklung, die sich mit dem zunehmenden Renteneintritt der sogenannten Babyboomer-Generation noch verschärfen wird. Erste Erkenntnisse hierzu liefert der DAK Pflegereport 2024, der zum einen den Ersatzbedarf in den kommenden zehn Jahren mit ca. 20 Prozent beziffert, was bei 1,25 Mio. Beschäftigten in der Pflege[3]  einen Nachbesetzungsbedarf von ca. 250.000 Beschäftigten bedeutet, zum anderen werden ab Ende der 2020er Jahre in den ersten Bundesländern wie z. B. Bayern, Bremen und Sachsen-Anhalt die ersten Kipppunkte erwartet, sprich Austritte aus dem Pflegeberuf werden nicht mehr durch Absolvent*innen von Pflegefachschulen ersetzt werden können.

Die Gewinnung einer ausreichenden Zahl von Pflegekräften wird mehr und mehr zu einer Herausforderung, die nur mit entschiedenen Maßnahmen bewältigt werden kann. Dabei spielt die Stärkung der Pflegeausbildung und ihrer Akteure eine besondere Rolle.

Problembeschreibung

Problembeschreibung Pflegeschulen

Pflegekräfte fehlen auch, weil Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen fehlen. Daher liegt hier eine der größten Aufgaben der Bundesländer bei der Sicherung des Personalbedarfs für die Pflegeeinrichtungen. Denn fehlende Lehrkräfte gefährden nicht nur die Sicherstellung der derzeitigen Ausbildung, sondern insbesondere auch die dringend notwendige Erweiterung der Ausbildungskapazitäten im Fachkräfte- und Assistenzkräftebereich.

Gleichzeitig zeigt sich, dass durch die erheblich erhöhten Anforderungen an Lehrpersonal durch das Pflegeberufegesetz die Besetzung der Stellen sehr problematisch ist. Die Länder beschreiben in ihren Rückmeldungen im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege die Situation der Lehrerversorgung an den Pflegeschulen als „angespannt“ und das Studienangebot schon heute als nicht ausreichend, um den bestehenden Bedarf an Lehrkräften zu decken. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen fehlen allein knapp 750 Lehrkräfte, wie die Landesberichterstattung zu den Gesundheitsfachberufen[4] ausweist. Im Hessischen Pflegemonitor[5] wird ebenfalls auf den Lehrkräftemangel verwiesen, auch das Monitoring Pflegepersonal in Baden-Württemberg[6] nimmt die sich verschärfende Situation im Bereich der Pflegepädagogen auf. Das konstatieren auch die Lehrenden selbst. Der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und Sozialberufe (BLGS) beklagt in einem aktuellen Positionspapier: „Seit Jahren herrscht an Pflegeschulen ein erheblicher Mangel an qualifiziertem Lehrpersonal, der sich aufgrund der Altersstruktur der Kollegien in den kommenden Jahren noch verschärfen wird. Schon jetzt können freiwerdende Stellen kaum noch nachbesetzt werden. Den meisten Schulen ist es dadurch nicht möglich, ihre Ausbildungskapazitäten bedarfsgerecht zu erhöhen; sie müssen teilweise sogar Ausbildungsplätze abbauen und Ausbildungsinteressierte abweisen“[7]

Quintessenz: Es besteht ein akuter Mangel an Lehrpersonal. Weder der aktuelle noch der künftige Bedarf ist sichergestellt. Gemäß des BIBB-Pflegepanel findet jede zweite Pflegeschule die Qualifizierung von Lehrkräften problematisch. 60 Prozent wünschen sich Hilfe bei der Akquise des Personals.

Den Schulen fehlt dadurch die Planungssicherheit und notwendige Investitionen für einen Angebotsausbau müssen zurückgestellt werden.

Neben dem limitierenden Faktor der Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen müssen sich private Pflegeschulanbieter bereits seit Einführung der Generalistik weiteren strukturellen Wettbewerbsnachteilen, gegenüber den an Krankenhäuser angeschlossenen Pflegeschulen, stellen und sich behaupten. Hierzu gehören:

  • ein im Akutversorgerbereich historisch bedingtes besseres Lehrer-Schüler-Verhältnis. In NRW lag der Pflegepädagogenschlüssel im Akutbereich bei 1:20, in der Altenpflege-Ausbildung bei 1:33. Damit haben die an Krankenhäuser angeschlossen Pflegeschulen von je her mehr vorhandene Lehrkräfte und das bei einem eklatanten Pflegepädagogenmangel. Für die ehemaligen Fachseminare für Altenpflege ist die Erfüllung / Erreichung des gem. Pflegeberufegesetz veranschlagte Lehrer-Schüler-Verhältnis von 1:20 ungleich schwerer und bisher hat nur das Bundesland NRW von seinen Regelungsrechten Gebrauch gemacht und den Schlüssel auf 1:25 gesetzt.
  • eine deutlich leistungsfähigere und umfangreicher ausgestaltete Finanzierung der Miet- und Investitionskosten (Schul- und Unterrichtsräume) für Pflegeschulen, die an ein Krankenhaus angebunden sind à Krankenhausfinanzierungsgesetz = Rechtsanspruch, während Pflegeschulen in freier Trägerschaft – je nach Bundesland – mit gänzlich fehlenden verbindlichen oder befristeten Regelungen konfrontiert sind, sprich Billigkeitsleistungen. Die Ausgestaltung der Länder im Hinblick auf Höhe und Inhalt der Regelungen weichen eklatant voneinander ab, was neben finanziellen Wettbewerbsnachteilen gleichzeitig weniger Planungssicherheit für diese Schulträger und damit ggf. Zurückhaltung bei einem weiteren Engagement zur Schaffung neuer (notwendiger) Schulstandorte bedeutet
    Beispiel: Pflegeschule mit 200 Schülern auf ca. 1.500 qm Schulfläche in freier Trägerschaft

Best Practice: Hamburg

  • Förderung i.H.v. ca. 150.000 Euro / p.a.
  • Übernahme von 100% der Jahresnettokaltmiete und damit der Raumkosten in voller Höhe

Worst Practice: Nordrhein-Westfalen

  • Förderung i.H.v. ca. 40.000 Euro / p.a.
  • Teilfinanzierung der Jahresnettokaltmiete orientiert sich an der Azubi-Anzahl je Schule nach einem Stichtag VOR der Generalistik (01.10.2019)
  • sowie eine Unverhältnismäßigkeit bei notwendigen Kooperationen zur Absicherung der Pflichteinsätze in den unterschiedlichen Versorgungsbereichen (ca. 1.000 ausbildende Krankenhäuser vs. 30.000 ausbildenden Pflegeeinrichtungen)

Problembeschreibung Praxisanleitung

Neben der Pflegepädagog*innenthematik reifen die Praxisanleitungen zum nächsten Sorgenkind. Die auch hier (zunehmenden) fehlenden Kapazitäten zur Freistellung von Praxisanleitungen für die Qualifikation an sich, aber auch die Praxisanleitung selbst, entwickeln sich ebenfalls zu einem limitierenden Faktor.

Grund hierfür ist der drastisch zugenommene Personalmangel, der viele Einrichtungen kaum noch in die Lage versetzt, Praxisanleitungen für die Weiterbildung freizustellen, so dass Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können. Die Tendenz ist alarmierend, da es eher zu einem Rückbau als zu einem Aufbau neuer notwendiger Ausbildungskapazitäten kommt.

Problembeschreibung Pflegeberufegesetz

Die Ausbildungszahlen liegen nach wie vor hinter dem Ausbildungsjahr 2021/2022 zurück, während der Personalbedarf in der Pflege weiter steigt. Der Ausbildungsmotor der Altenpflegeausbildung der in den letzten zehn Jahren vor Einführung der Generalistik nur eine Richtung kannte, in Form von massiven Zuwächsen von insgesamt 60 Prozent, wurde gestoppt. Doch genau diese Aufwärtsentwicklung ist die, die wir angesichts der weiter steigenden Zahlen von Pflegebedürftigen dringend wieder brauchen. Stattdessen gehen mit der generalistischen Pflegeausbildung neue und komplizierte Ausbildungsabläufe einher; viele Interessierte und viele kleine Ausbildungsbetriebe werden verprellt. Das sollte die politisch Verantwortlichen beschäftigen. Gleiches gilt im Hinblick auf die Abbruch- wie Nicht-Bestehen-Quoten.

Gründe für höhere Abbruchquoten sind:

  • Praxisanleitung (PA) kann nicht wie gewünscht umgesetzt werden. Hier schlägt der Mangel an Praxisanleitungen wie auch der allgemeiner Personalmangel zu Buche
  • fehlender Bezug und fehlendes Gefühl der Zugehörigkeit, Identifikation wie Bindung an den eigenen Träger der praktischen Ausbildung (TdpA) aufgrund der hohen Anzahl an Einsatzstellen
  • bis heute mangelnde Akzeptanz der Auszubildenden von ehemaligen Altenpflegeschulen im Akuteinsatz und damit Abwertung der Leistung
  • aufgrund von Personalmangel hohe Belastung durch schnelle Selbstständigkeit im Rahmen der praktischen Tätigkeit
  • Sprachdefizite bei hohen Anforderungen in der Ausbildung
  • fehlende sozialpädagogische Begleitung (Positiv-Beispiel Berlin: Schlüssel 1:120, rechtliche Regelung in der Berliner Pflegeschulanerkennungsverordnung, Finanzierung über die Pauschalen der Pflegeschulen)

Gründe für den Anstieg der Durchfallquote sind:

  • keine klassische Vornote mehr wie in der Altenpflege, die mit 25 % auf die Prüfungsnoten angerechnet wird
  • jede Prüfung (schriftlich, mündlich und praktisch) muss mit mindestens „ausreichend“ bestanden werden, Vorleistungen aus drei Jahren Ausbildung zählen nicht!
  • der Expertise und den Erfahrungswerten von Ausbildungs- und Bildungsträgern in der Pflege folgend hätten nach alter Regelung ca. 80 % der durchgefallenen Auszubildenden bestanden
  • keine Nicht-Versetzung mehr möglich, so dass Azubis mit hohen Fehlzeiten und schlechten Noten gerade noch in die Prüfungszulassungen, „rutschen“, um im Anschluss sehenden Auges durch die Prüfung zu fallen

Problembeschreibung rückläufige Ausbildungszahlen

Neben den bereits in der Problembeschreibung Pflegeberufegesetz aufgeführten Punkte wird (nach wie vor) ein zum Teil falsches Bild und Image des Pflegeberufs (viel Arbeit, keine Freizeit, wenig Geld, keine Entwicklungsmöglichkeiten) vermittelt. Hinzu kommt, dass das Potential der Vergangenheit, sprich die Altenpflegeausbildung als Ausbildungsmotor, nicht mehr hebbar ist, da keine auf die Langzeitpflege bezogene und zugeschnittene Ausbildung mehr existiert. Alternativen fehlen, Interessierte wenden sich von der Langzeitpflege ab.

Das BIBB hingegen suggeriert im Rahmen seiner ersten Erhebungswelle zum BIBB-Pflegepanel, das Pflegeschulen ihre Schulklassen nicht ausgelastet bekommen und dies auf ein Nachfrageproblem zurückzuführen sei. Es mag sein, dass diese Theorie auf den ein oder anderen Standort zutrifft, bedeutet jedoch kein grundsätzliches Nachfrageproblem. Was benötigt wird und fehlt sind dezentrale Pflegeschulstandorte. Ohne die wird es zu keinem relevanten Anstieg an Auszubildenden kommen. Untermauert wird dies durch die im Rahmen des „Monitoring Pflegepersonal in Baden-Württemberg 2022“ durch Herrn Prof. Dr. Isfort und Herrn Prof. Dr. Klie u.a. erfolgte Erhebung zum Anfahrtsweg und Rekrutierungsraum von Pflegeauszubildenden. Ergebnis dieser Erhebung ist, dass Anfahrtsweg wie Rekrutierungsraum örtlich wie regional als begrenzt einzuordnen sind (Umkreis von 20 km).[8] Die Notwendigkeit für eine Veränderung der derzeitigen Finanzierungsstrukturen für Pflegeschulanbieter – die für einen Trend zu größeren und zentralisierten Schulstrukturen sorgen, aber nicht zu mehr Ausbildungsverhältnissen und einem flächendeckenden Angebot – wird damit auch an dieser Stelle deutlich (s.a. Problembeschreibung Pflegeschulen). Erfolgen hier nicht die notwendigen Veränderungen, drohen potenziellen Schülern:innen wie Pflegeeinrichtungen ohne ein Pflegeschulangebot in der näheren Umgebung kein oder ein nur sehr eingeschränkter Zugang zur Qualifizierung und Personalsicherung. Eine flächendeckende und regional erreichbare Schulinfrastruktur ist daher als bedeutsam zu betrachten, um die bestehenden personellen Kapazitäten vor Ort zu nutzen und die Pflegeeinrichtungen mit qualifiziertem Personal unterstützen zu können. Die Digitalisierung der Pflegeausbildung, insbesondere im theoretischen Unterricht, bietet eine zusätzliche Möglichkeit, dem fehlenden flächendeckenden Schulangebot entgegenzuwirken.

Weitere Gründe für rückläufige Ausbildungszahlen sind auch in den oftmals mangelnden Kenntnissen der Agentur für Arbeit, im Rahmen der Ausbildungs- und Berufsberatung, über die Ausbildung zum:r Pflegefachmann:frau und insbesondere Pflegeassistenzausbildung (QN3) sowie der fehlenden Aufklärung und Information über die Möglichkeiten der Pflegeassistenzausbildung als niederschwelligen Einstieg in die Langzeitpflege auszumachen.

Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich aus den, auf Basis von Erfahrungswerten von Ausbildungsanbietern wie Arbeitgebenden, zurückgehenden Zahlen der Umschüler:innen. Die Ursachen liegen auch hier in den unzureichenden Kenntnissen der Agentur für Arbeit wie Jobcentern über die Ausbildung zum Pflegefachmann bzw. zur Pflegefachfrau sowie der Pflegeassistenz-/Pflegehelferausbildungen. Aufgrund dessen wird – nach Rückmeldung von Umschüler*innen – sogar im Rahmen der Beratung von den Pflegeausbildungen abgeraten und ein negatives / klischeehaftes Bild von der Pflege gezeichnet. Hinzu kommen lange Bearbeitungszeiten und mangelnde Erreichbarkeiten der Agentur für Arbeit und Jobcenter, so dass potenzielle Auszubildende viel Geduld und Zeit mitbringen müssen, die sie häufig nicht haben (können), da es für sie existenziell ist eine Ausbildung zu beginnen.

Weitere Hemmnisse sind die Unwissenheit in den Betrieben über die Möglichkeiten, der administrative Aufwand und die von Agentur zu Arbeit wie Jobcenter – selbst innerhalb eines Bundeslandes – unterschiedlich ausgelegten und angewendeten Fördervoraussetzungen.

Problembeschreibung Pflegeassistenten/-helfer/-innen

Neben der Erweiterung der Kapazitäten zur Gewinnung zusätzlicher Fachkräfte muss gleichzeitig auch die große Bedeutung der qualifizierten Hilfskrafttätigkeit in der Pflege in den Blick genommen werden. In der öffentlichen Diskussion gehen die Pflegeassistenten/-helfer bzw. -helferinnen oft unter. Für sie wird nichts gefordert, sie werden nicht gezielt umworben, sie werden geradezu vergessen. Dabei haben sie über Jahrzehnte einen erheblichen Beitrag zur Versorgungssicherung beigetragen und spielen in den Teams der Pflegeeinrichtungen eine zentrale Rolle. Erst jetzt sind die Pflegeassistenten/-helfer in den Fokus der Bundespolitik gerückt und die Bestrebungen aus den derzeit 27 landesrechtlich geregelten Pflegehelfer-/Pflegeassistenzausbildungen eine bundeseinheitliche Pflegeassistenzausbildung zu schaffen, sollen noch bis Ende der Legislaturperiode in einem Gesetz für eine generalistische Pflegeassistenz-Ausbildung münden. Dabei sind die Chancen, die mit einer Neuordnung des Assistenzbereiches einhergehen, jedoch zwingend zur ergreifen, Fehler aus der bisherigen Generalistik zu vermeiden.

Problembeschreibung hochschulische Ausbildung

Die Studienplatzplanung wie auch die Schaffung und Finanzierung von Pflegestudiengängen liegt in der Regelungszuständigkeit der Länder. Die Länder haben sich im Rahmen der Konzertierten Aktion Pflege verpflichtet, auf die Bereitstellung einer bedarfsgerechten Anzahl von Studienplätzen hinzuwirken.

In der Praxis zeigt sich jedoch, dass es sowohl bei der Schaffung von Angeboten der hochschulischen Pflegeausbildung wie auch der Pflegepädagogik erhebliche Probleme gibt. Die bisher fehlende finanzielle Unterstützung der Studierenden im Rahmen der hochschulischen Ausbildung sowie zu geringe Möglichkeiten für Praxiseinsätze wurden durch die Einführung einer über das Umlageverfahren refinanzierten Ausbildungsvergütung und der Einbindung der Träger der praktischen Ausbildung in das Ausbildungs-/Studienkonstrukt im Rahmen des Pflegestudiumstärkungsgesetz nun gelöst.

Welche Wirkung diese Maßnahmen zur Aktivierung der hochschulischen Pflegeausbildung tatsächlich entfalten bleibt abzuwarten. Aufgrund dieser nun vorhandenen Bausteine in der hochschulischen Ausbildung droht aus unserer Einschätzung jedoch eine Kannibalisierung der sowieso schon zu wenig vorhandenen Pflegepädagogik-Studiengänge, da für die Hochschulen ein Ausbau der hochschulischen Ausbildung an Attraktivität gewonnen hat. Eine Priorisierung ist in Anbetracht der personellen Lage in der Pflege jedoch von Nöten und diese muss in Richtung Ausbau, Bewerbung und Attraktivitätssteigerung der Pflegepädagogik-Studiengänge erfolgen. Sonst droht ein gesamter Systemeinbruch. Denn ohne Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen keine Pflegeausbildung! 

Erforderliche Maßnahmen 

Pflegeschulen

Die Zahl der Plätze an Pflegeschulen entscheidet in hohem Maße darüber, wie viele Menschen eine Tätigkeit in der Pflege als Fachkraft und Assistenzkraft aufnehmen können. Angesichts der in immer neuen Studien bestätigten aktuellen und drohenden Personalengpässe sind die Schulkapazitäten damit eine entscheidende Stellschraube, um Personalsicherung in der Pflege zu ermöglichen. Folgende Maßnahmen, sind daher notwendig:

  • Anpassung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses auf 1:25 zur Schaffung eines klaren Rahmens und einer umfassenden Planungsperspektive (mind. bis 2029) àbest practice Beispiel Nordrhein-Westfalen, rechtliche Grundlage: Durchführungsverordnung Pflegeberufegesetz NRW
  • IK-Finanzierung der Pflegeschulen in freier Trägerschaft
    • Angleichung der Finanzierung an die gesetzlichen Regelungen der Pflegeschulen in Anbindung an Krankenhäuser, auf Basis
      • einer Orientierung der Fördervolumen auf Grundlage der tatsächlichen Auszubildenden-Anzahl je Kalenderjahr,
      • der Zugrundelegung der tatsächlichen Raumkosten unter Berücksichtigung der marktrelevanten und regionalen Unterschiede wie auch
      • aufgrund von vorgegebenen Flächenbedarfen und
      • insbesondere mit Rechtsanspruch.
  • die vollständige Finanzierung der Investitionskosten für Pflegeschulen in freier Trägerschaft in allen Bundesländern
  • Unverhältnismäßigkeit bei notwendigen Kooperationen
    • Krankenhäuser mit in die Verpflichtung nehmen, Kooperationen auch mit nicht verbundenen Pflegeeinrichtungen einzugehen, um die notwendigen Pflichteinsätze zu gewährleisten

Ausbildung darf nicht träger- und standortabhängig sei, sondern wird bundesweit zu einheitlichen Bedingungen benötigt!

Pflegepädaginnen und Pflegepädagogen

Die Verantwortung für Maßnahmen, die eine adäquate Versorgung mit Lehrkräften sicherstellen, liegt bei den Bundesländern. Hier gilt es folgende Maßnahmen anzugehen und zeitnah umzusetzen:

  • systematische Erfassung des Bestands und absehbaren Bedarfs an Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen in allen Bundesländern inkl. zukünftiger Kapazitätssteigerungen
  • Errichtung neuer und Erweiterung bestehender Studienangebote, inkl. berufsbegleitender Möglichkeiten
  • Programme für Quereinsteiger mit Praxiserfahrungen sowie Absolventinnen und Absolventen mit Studienabschlüssen aus dem Pflege-, Medizin- & Gesundheitsbereich zur Erlangung der Übernahme einer dauerhaften Lehrtätigkeit als berufsbegleitende Weiterbildung (400 Stunden)
  • Schaffung von Übergangsregelungen, nach Abschluss des Bachelor Pflegepädagogik, befristete Zulassung als Lehrkraft bereits vor Abschluss des Masterstudiengangs
  • alle Studierenden, die sich in einem primärqualifizierenden Pflegestudiengang befinden, müssen vor Ende des Bachelors ein Angebot zur Aufnahme eines Masters für die Pflegepädagogik erhalten
  • Engführung Pflegepädagogik im PflBG überdenken und Bezugswissenschaften wie z. B. Medizin, Gesundheitswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Biologie mit einbeziehen
  • im Rahmen einer Bundesratsinitiative sollte zudem das bundesgesetzliche Erfordernis eines Masterabschlusses für Pflegelehrer überdacht und eine praxisgerechtere Lösung etabliert werden
  • Kampagne für das Berufsbild des/der „Pflegepädagogen/Pädagogin“ analog zur Kampagne „Mach Karriere als Mensch“

Ohne praxisgerechtere Lösungen wird der Bedarf an Lehrkräften für den notwendigen Ausbau der Ausbildungskapazitäten in der Pflege nicht gelingen können.

Praxisanleitung

  • Schaffung einer rechtlichen Grundlage zur vollständigen Digitalisierung der Qualifikation bzw. Weiterbildung zur Praxisanleitung (300 Stunden) in Videopräsenzlehre, da personelle Kapazitäten für eine Freistellung zur Teilnahme vor Ort immer knapper werden

Pflegeberufegesetz

  • vollständige Evaluation des Pflegeberufegesetz, bisher ist eine Evaluierung nur im Hinblick auf die Voraussetzung für den Zugang zur Ausbildung (konkret der erfolgreiche Abschluss einer sonstigen zehnjährigen allgemeinen Schulbildung), die Fachkommission, Erarbeitung von Rahmenplänen, die Beratung, Aufbau unterstützender Angebote und Forschung sowie den gesamten Abschnitt der Finanzierung der beruflichen Ausbildung vorgesehen
  • Vorleistungen aus der Ausbildung im Rahmen einer Vornote wieder anerkennen
  • Pflegeschulen wieder die Möglichkeit der Nicht-Versetzung zurückgeben
  • sozialpädagogische Begleitung, z. B. durch Erweiterung der §16k-Förderung auf alle Auszubildenden (derzeit nur SGBII-Kunden:innen) sowie über die Ausbildungspauschalen der Pflegeschulen à Gesamtkonzept zur ganzheitlichen Betreuung/Unterstützung während der Ausbildung à Bsp. Berlin: Pflegeschulen müssen eine sozialpädagogische Begleitung und Beratung sicherstellen (Schlüssel 1:120), rechtliche Regelung in der Berliner Pflegeschulanerkennungsverordnung, Finanzierung über die Pauschalen der Pflegeschulen
  • Unverhältnismäßigkeiten bei notwendigen Kooperationen korrigieren (s. a. Punkt Pflegeschulen)
  • Digitalisierung der Pflegeausbildung vorantreiben, um den Zugang zur Ausbildung zu flexibilisieren (z. B. für Auszubildende in ländlichen Regionen oder Mütter)

Rückläufige Ausbildungszahlen  

  • Zugänge zur Pflegeausbildung über Praktika und FSJ-Angebote schaffen
  • Anerkennung von Auszubildenden, die ihr 3-jähriges Examen nicht erfolgreich abgeschlossen haben, als Pflegeassistenzkraft (QN3) bzw. mit erfolgreich absolvierter Zwischenprüfung Berufsausübungserlaubnis als Pflegeassistenzkraft (QN3)
  • Schaffung alternativer Zugänge zur Pflege wie z.B. über die sog. Externenprüfung (Beispiel Nordrhein-Westfalen) zur Erlangung des QN3 und damit Erweiterung der Kapazitäten
  • Informationstrainings für Mitarbeitende (Arbeitsberater*innen/Fallmanager*innen) von Jobcentern und Agenturen für Arbeit
  • Verbesserung der Kenntnisse der Agentur für Arbeit, im Rahmen der Ausbildungs- und Berufsberatung, über die Ausbildung zum:r Pflegefachmann:frau und insbesondere auch die Pflegeassistenzausbildung (QN3)
  • Reduzierung des hohen bürokratischen und organisatorischen Aufwands à Grenzen der Machbarkeit für kleine Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste
  • Optimierung der Bearbeitungszeit beim Umschulungsmaßnahmen
  • Sicherheit und Unterstützung der durchführenden Betriebe gewährleisten und optimieren

Pflegehelfer-/ Pflegeassistenzausbildung

Die Pflegeassistenzausbildung darf sich nicht zu einer Konkurrenzausbildung zur Ausbildung zur/zum Pflegefachfrau/Pflegefachmann entwickeln, sondern hat die Aufgabe, zusätzliche personelle Ressourcen schaffen. Dazu muss diese Ausbildung die Möglichkeit erhalten, Rahmenbedingungen und Inhalte zu schaffen, die ihr – bei aller notwendigen Verbindung und Verknüpfung zur Fachkraft-Ausbildung – ein eigenes Profil und Renommee geben.   

Neben der Einführung des Personalbemessungsverfahren (PeBeM) nach § 113c Abs. 1 Nr. 2 SGB XI, machen die Dynamisierung der Anzahl an Pflegebedürftigen bei gleichzeitig zunehmender Berentung der sog. Babyboomer in allen Versorgungsbereichen (ambulant wie stationär) einen Aufwuchs unerlässlich. 

  • Einführung einer qualifizierten wie praxisorientierten bundeseinheitlichen 1-jährigen Pflegeassistenz-Ausbildung
  • möglichst hoher Anteil an behandlungspflegerischen Inhalten, die mit Erlangung der Ausbildung bundesweit erbracht werden dürfen (qualifikationsbezogen)
  • Finanzierung über eine Umlageverfahren für Pflegeschulen und Träger der praktischen Ausbildung analog zur Finanzierung der 3-jährigen Ausbildung, jedoch unter der Prämisse der Umsetzung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag à Herausnahme aus den Eigenanteilen und nunmehr steuerfinanziert
  • im Rahmen der Finanzierung keine Schlechterstellung gg. der 3-jährigen Ausbildung
  • Angleichung der Finanzierung der Investitionskosten für Pflegeschulen in freier Trägerschaft an die gesetzlichen Regelungen der Pflegeschulen in Anbindung an Krankenhäuser sowie eine bundeseinheitliche Investitionskosten-Regelung
  • innovative Zugangs- wie Ausbildungsmodelle, wie
    • Zugang auch für Menschen ohne Schulabschluss oder für diejenigen, die ihren Schulabschluss nicht nachweisen können, z.B. durch Eignungsfeststellung durch eine Pflegeschule oder durch den Nachweis bestehender vorheriger Qualifikationen, Praxiserfahrungen, FSJ, BFD, Praktika in der Pflege
    • Externen-/Schulfremdenprüfung für in der Pflege berufserfahrene Beschäftigte
    • erfolgreiche Zwischenprüfung der Fachkraftausbildung = automatische Erlangung der Berufsausübungserlaubnis als Pflegeassistenz
  • Hebung bisher noch nicht aktivierter – und nicht unerheblicher – Bewerberpotentiale für die Pflegebranche, wie z.B.
    • Schüler:innen, die nicht über den notwendigen Schulabschluss für eine Ausbildung zum:r Pflegefachmann:frau verfügen 
    • Personen mit Migrationshintergrund, Geflüchtete und Betreuungskräfte, die oftmals über den Einstieg in eine einjährige Pflegeassistenzausbildung niedrigschwellig in die Pflege kommen
  • Berücksichtigung der begrenzten Ressourcen der Pflegepädagoginnen und Pflegepädagogen sowie Praxisanleitungen im Gesamtkontext. Ohne dieses Fachpersonal, keine Ausbildung.
    • Daher sollte für Lehrkräfte von Pflegeassistenzkursen ein pflegepädagogischer Abschluss auf Bachelor-Niveau als angemessen anerkannt werden. Auch weitere pflegerelevante Studienabschlüsse wie z.B. Pflegemanagement oder Advanced Nursing Practice und weitere Bezugswissenschaften wie z.B. Medizin, Gesundheitswissenschaften etc. sollten anerkennungsfähig sein, ggf. mit einer zusätzlich nachzuweisenden pädagogischen Basisqualifizierung.
    • Um den Ausbildungsmotor Pflegeassistenz in einer entsprechenden Geschwindigkeit in Gang zu bringen, darf eine Praxisanleiter-Qualifikation mit einem Umfang von 300 Stunden nicht Grundvoraussetzung für die Ausbildung von Pflegeassistenten sein. Die Praxisanleitung sollte auch durch 3-jährige gelernte Pflegefachkräfte erfolgen dürfen.  
  • um den zunehmenden Abbruch- und Durchfallquoten von vorneherein entgegenzuwirken Implementierung einer sozialpädagogischen Begleitung und Beratung (anlog der Ausbildung zur/zum Pflegefachfrau/Pflegefachmann)
  • Vermeidung von – durch eine in die Länge gezogene neue Assistenzausbildung –Implikationen für bisher nach Landesrecht ausgebildete Pflegehelfer/-assistenten, die neben einer Abwertung dieser ausgebildeten Kräfte unter Umständen zudem zu einer Reihe von Nachqualifizierungsmaßnahmen oder Anerkennungsverfahren führen könnten
  • bessere Aufklärung und Information über die Möglichkeiten der Pflegeassistenzausbildung als niederschwelligen Einstieg in die Langzeitpflege sowohl in Schulen als auch Beratungen durch die Agentur für Arbeit und Jobcenter
  • regelhafte Förderung – unabhängig von der Unternehmensgröße – über die Beschäftigtenqualifizierung für gering qualifizierte Beschäftigte bis zu einer Höhe von 100 Prozent
  • Ausdehnung der Förderung der betrieblichen Einstiegsqualifizierungen nach § 54a SGB III auf die Helferberufe in der Pflege. Zum einen um jungen Menschen mit Ausbildungshemmnissen die Möglichkeit zu verschaffen, solche Helferberufe zu ergreifen und damit ggf. auch die Möglichkeit zu eröffnen, sich später zu Pflegefachkräften weiter zu qualifizieren. Zum anderen um jede Möglichkeit zu nutzen, den stark steigenden Bedarf an Pflegeassistenz/-hilfskräften in naher Zukunft decken zu können, was auch eine immense arbeitsmarktpolitische Anstrengung bedeutet.

Digitalisierung der Pflegeausbildung

  • für den theoretischen und praktischen Unterricht Nutzung digitaler oder anderer geeigneter Unterrichtsformate (s. Rheinland-Pfalz „Digitale Bildungsoffensive in der Pflegeausbildung“)
  • der praktische Teil der Prüfung kann z.B. anstelle eines Patientenkontakts in Skills Labs durchgeführt werden 

Diese Möglichkeiten, die während der Corona-Pandemie befristet waren, haben sich bewährt. Dadurch wurde die Ausbildung flexibilisiert. So würde es künftig z.B. einfacher für Mütter, eine Pflegeausbildung zu absolvieren. Mit solchen Maßnahmen würde darüber hinaus Auszubildende in ländlichen Regionen die Ausbildung erleichtert. Zudem würde ein höherer digitaler Anteil die Ausbildung insgesamt moderner und für alle potentiellen Auszubildenden attraktiver machen. Der bpa fordert daher, diese Lektion aus der Pandemie zu lernen und die Möglichkeiten einer digitalisierten Ausbildung in das Pflegeberufegesetz aufzunehmen.


[1] Geschäftsstatistik der Pflegekassen (SPV) per 31.12.2023 und der privaten Pflege-Pflichtversicherung (PPV) zum 31.12.2022 inkl. Steigerung anlog SPV

[2]www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_033_23_12.html

[3]www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/pflege/pflegekraefte/beschaeftigte

[4] Landesberichterstattung Gesundheitsberufe Nordrhein-Westfalen 2023, MAGS NRW (2023)

[5]https://hessischer-pflegemonitor.de/

[6]www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-sm/intern/downloads/Publikationen/Monitoring-Pflegepersonal-BW_2022.pdf

[7]https://blgsev.de/wp-content/uploads/2022/10/20220628_BLGS-Positionspapier_Lehrkraeftemangel_Pflege.pdf

[8]www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-sm/intern/downloads/Publikationen/Monitoring-Pflegepersonal-BW_2022.pdf