Appell an die neue Bundesregierung - Die Lösung heißt: Vertrauen

von bpa-Hauptgeschäftsführer Norbert Grote

Grote Norbert

Mehr Demokratie, mehr Fortschritt … in der Politik ist rhetorisch immer wieder einiges gewagt worden. Jetzt ist es Zeit für: mehr Vertrauen. Denn die gesamte Idee der sozialen Marktwirtschaft begründet sich auf wirtschaftliche Freiheit und Verantwortung – ohne Vertrauen funktioniert sie nicht!

Die sich überlappenden Krisen, die eine neue Bundesregierung in Deutschland bewältigen muss, können nicht allein mit staatlicher Initiative und maximaler Kontrolle angegangen werden. Gerade weil es in einigen Bereichen – wie der inneren und äußeren Sicherheit und auch der Rente – eben der Staat ist, der als maßgeblicher Akteur handeln muss, ist an anderen Stellen ein maximales Vertrauen in die handelnden Akteure unerlässlich. Konkret: Die aktuellen Herausforderungen in der Pflege können nur bewältigt werden, wenn sowohl den Einrichtungen und ihren Verbänden als auch den Pflegekräften mehr vertraut wird.

Vertrauen in der Pflege: Was das im Einzelnen bedeutet

Die letzten Jahre haben auf atemberaubende Weise deutlich gemacht, wie hoch der Handlungsdruck inzwischen ist. Zehntausende abgebaute und um die hunderttausend nicht belegte Plätze in vollstationären Pflegeeinrichtungen, fehlende Tagespflegeangebote, schrumpfende Versorgungsangebote im ambulanten Bereich. Familien, die zunehmend auf sich selbst gestellt sind und die Pflege ohne professionelle Unterstützung irgendwie organisieren müssen. Nicht nur Umfragen und Zahlen des bpa haben diese Situation mehr als plastisch belegt.

Und in allen Bereichen ist es vor allem mangelndes Vertrauen, das zu diesen Verwerfungen geführt hat. Misstrauen der Kostenträger macht jede Vergütungsverhandlung zu einem monatelangen Tauziehen, das immer öfter vor Schiedsstellen oder Gerichten endet – und durch die zeitversetzte Berücksichtigung massiv steigender Kosten die Pflegeeinrichtungen an den Rand der wirtschaftlichen Existenzfähigkeit oder gleich ganz in die Insolvenz führt. Misstrauen der Politik und Behörden hat zu einer Prüfdichte in Pflegeeinrichtungen und Doppelprüfungen geführt, die beispiellos ist und kaum noch Luft zum Atmen lässt. Das fehlende Vertrauen in die Expertise von Fachkräften in der Langzeitpflege hat zu einer Generalistischen Ausbildung geführt, die es nach wie vor nicht schafft, den personellen Aufwuchs, den wir zur Versorgung der steigenden Zahl von Pflegebedürftigen brauchen, zu organisieren. Und der ebenfalls notwendige Zuzug und die Integration internationaler Pflegekräfte wird gebremst, weil Fachkräfte mit einer dreijährigen Ausbildung oder sogar einem Studium im Durchschnitt 500 Tage darauf warten müssen, dass Deutschland einem fremden Dokument vertraut.

Das geht so nicht weiter. Ruder herumreißen, Vertrauen heißt die Devise

Denn nicht einmal mehr die hartgesottensten Fans eines Staatsdirigismus glauben noch ernsthaft daran, dass die öffentliche Hand der bessere Betreiber von Pflegeeinrichtungen ist oder auch nur die Strukturen der pflegerischen Versorgung angemessen organisieren kann. Das gab es alles, und es hat zu stagnierender Qualität, erheblichem Sanierungsstau und ewig langen Wartelisten geführt.

Es sind neben den freigemeinnützigen Einrichtungen eben vor allem die privaten Betreiberinnen und Betreiber, die in den letzten Jahrzehnten für steigende Qualität gesorgt und unzählige Versorgungsangebote und Arbeitsplätze in der Pflege geschaffen haben. Und sie wollen die pflegerische Infrastruktur auf eigenes Risiko auch weiter ausbauen – wenn man sie nur lässt. Eine der zentralen Forderungen: Vertrauen.

Vertrauen in den Verhandlungen: Das nun durch das Ampel-Aus nicht mehr verabschiedete Pflegekompetenzgesetz hätte einige zarte Ansätze einer neuen Verhandlungskultur mit sich gebracht. Die darin enthaltenen Beschleunigungen und Vereinfachungen sind eine Basis für eine neue Vertrauenskultur im Miteinander zwischen Kostenträgern und Einrichtungen. Wo Personalkosten beispielsweise durch Tariferhöhungen steigen, muss doch eine unkomplizierte Refinanzierung eben dieser Steigerungsraten selbstverständlich sein, ohne die Einrichtungen wieder mit neuen Nachweispflichten und schon an Unanständigkeit grenzende Neugier der Kostenträger auf unternehmensinterne Zahlen zu überziehen.

Vertrauen in die Pflegekräfte: Während andere Branchen auf möglichst breite und spezialisierte Ausbildungspaletten setzen, wurden die Wahlmöglichkeiten in der Pflege massiv verknappt. Es ist eben nicht für jede und jeden der richtige Weg, gleich auch im OP ausgebildet zu werden, wenn der Weg eigentlich in die Langzeitpflege führen soll. Statt neue Möglichkeiten zu schaffen, hat die Generalistik aber vor allem Zugangswege gekappt. Die interessierten Menschen, die in der Pflege tätig werden wollen, können aber sehr gut für sich selbst entscheiden, welcher Weg im individuellen Fall der richtige ist. Wenn also viele Bewerberinnen und Bewerber einen unkomplizierten Zugang direkt in die Langzeitpflege wünschen, dann sollte ihnen dieser nicht verwehrt werden. Eine Überprüfung der aktuellen Ausbildungssituation und auch ein Nachdenken über eine Wiedereinführung der eigenständigen Altenpflegeausbildung sind mehr als überfällig.

Vertrauen in die Ausbildung in anderen Staaten: Es ist ja schön, wenn wir Deutschen für unsere sprichwörtliche Gründlichkeit international bekannt sind. Wenn daraus aber blockierende Paragraphenreiterei wird, werden wir international schnell zur Lachnummer. Wer den Pflegeberuf in einer dreijährigen Ausbildung oder einem Studium erlernt hat und gleichzeitig über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügt, sollte uns bei der Lösung unserer demografischen Probleme helfen können, auch wenn noch nicht jede ambitionierte Regionalbehörde einen bunten Stempel auf das (beglaubigt übersetzte) Zeugnis gemacht hat. Die Kompetenzvermutung, die Oliver Blatt auf Seite 12 im Detail erläutert, ist eben auch ein Zeichen von Vertrauen.

"Ich vertraue der privaten Initiative und glaube, dass sie die stärkste Kraft ist, um aus den jeweiligen Gegebenheiten den höchsten Effekt herauszuholen." (Ludwig Erhard)

Vertrauen in die Betreiber: Auch hier wiehert der Amtsschimmel. Viele Bereiche in der Pflege werden nicht nur einmal überprüft, sondern von mehreren Behörden gleich mehrfach. Und das, obwohl Politikerinnen und Politiker in wirklich jeder Sonntagsrede von Bürokratieabbau und Entfesselung schwärmen. Das muss nun endlich einmal Realität werden und auch das ist eine Frage des Vertrauens. Einige Bundesländer (z.B. Bayern und Baden-Württemberg) gehen bereits voran und reduzieren die Prüfungen sowie bürokratische Hemmnisse in Einrichtungen. Das ist der richtige Weg, muss sich aber konsequent durch alle Regelungsbereiche und alle Bundesländer ziehen. Vertrauen bedeutet auch, den Einrichtungen die Freiheit zu lassen, mit dem ihnen zur Verfügung stehenden Personal so vielen Menschen wie möglich eine qualitätsgesicherte Versorgung anzubieten. Wenn Versorgungskapazitäten vorhanden sind, die Einrichtungen über entsprechend abgesicherte Konzepte verfügen und diese dann trotzdem aufgrund starrer Personaleinsatzquoten angesichts des vorherrschenden Personalmangels nicht genutzt werden können, ist das keiner überlasteten Familie mit einem pflegebedürftigen Angehörigen mehr zu erklären.

Die Pflege, das sind alle Pflegekräfte sowie alle Betreiberinnen und Betreiber pflegerischer Angebote. Sie brauchen keine jahrelangen Diskussionen mehr. Die Pflege braucht schnelle und maximal pragmatische Lösungen – und endlich das ihr zustehende Vertrauen.