Warum nicht die Altenpflegeausbildung wiederbeleben?

Ein Debattenbeitrag von bpa-Hauptgeschäftsführer Norbert Grote

Manchmal sind es schlichte Fakten, die die Ideologie durchkreuzen. Nachdem die Befürworter der generalistischen Pflegeausbildung jahrelang die Zusammenlegung der verschiedenen Pflegeausbildungen zum entscheidenden Schritt zur Stärkung des Berufs verklärt hatten, machte das Statistische Bundesamt diesen Fantasien im Sommer letzten Jahres ein Ende. Minus sieben Prozent – so fiel die dramatische Bilanz der Ausbildungszahlen der vorhergehenden Jahre aus. Mit der kleinen (und vorläufigen) Aufwärtsbewegung in diesem Jahr um 3 Prozent bleiben die Zahlen immer noch deutlich unter dem vorherigen Niveau. Ein Drama für die Branche, vor allem für Pflegebedürftige, deren Versorgung immer weniger gesichert ist.

Aber offenbar durfte nicht sein, was nicht sein sollte. Also schwiegen die zuständigen Ministerien und selbst der Deutsche Pflegerat brauchte mehrere Tage, um die Zahlen öffentlich zu kommentieren und zu einer allgemeinen konjunkturellen Delle umzudeuten. Der Schock ist zu Recht groß. Jahrelang hatte die Pflegeausbildung kontinuierlich für massive Zuwachszahlen gesorgt.

Vom Schuljahr 2009/2010 bis zum Schuljahr 2019/2020 war in der eigenständigen Ausbildung zur Altenpflegefachkraft allein ein Anstieg um 62 Prozent zu verzeichnen. Der Jobmotor Pflege wurde ausgerechnet in dem Moment politisch abgewürgt, in dem der Personalmangel so drastisch geworden war, dass er einen spürbaren Versorgungsmangel hervorgerufen hat. Wie konnte das passieren?

Mit der generalistischen Pflegeausbildung werden diejenigen abgeschreckt, die sich sehr gezielt für die Arbeit mit älteren Menschen interessieren und sehr bewusst den Altenpflegeberuf in der Vergangenheit gewählt haben. Sie haben sich in den letzten Jahren vielfach gegen die übermäßigen Lerninhalte aus der Krankenpflege bzw. Akutversorgung entschieden. Gleichzeitig ist die Organisation der Ausbildung durch viele Praxiseinsätze im Bereich der Krankenpflege so kompliziert, dass viele kleine Pflegeeinrichtungen, vor allem also ambulante Pflegedienste, passen müssen. Sie können die organisatorischen Vorgaben nicht ohne erhebliche Aufwendungen erfüllen oder finden schlicht keine Kooperationspartner für die Praxiseinsätze vor Ort, weil es keine Verpflichtung für Krankenhäuser gibt, mit Pflegeeinrichtungen zusammenzuarbeiten.

Die generalistische Pflegeausbildung ist kein Erfolgsmodell – sie verstärkt ganz offensichtlich den Personalmangel in der Langzeitpflege. Diese Wahrheit ist inzwischen in der Bundespolitik angekommen. Kaum jemand fragt noch, OB die Pflegeausbildung verändert und vereinfacht werden muss, es geht ausschließlich um das WIE.

Wer die Dinglichkeit der Situation erkennt, kommt um eine Frage nicht herum: Warum wird die klassische Altenpflegeausbildung nicht wiederbelebt? Es geht nicht darum, neu geschaffene Strukturen wieder zurückzubauen oder eine Entwicklung komplett zurückzudrehen. Der Fokus muss darauf liegen, das benötigte Personal gewinnen zu können – in der benötigten Qualität, aber eben auch in der angemessenen Quantität. Eine starre Fokussierung auf die Generalistik verhindert eine ernsthafte Beschäftigung mit möglichen Alternativen und schadet am Ende den Pflegebedürftigen und ihren Familien, die inzwischen oftmals allein dastehen, wenn professionelle Unterstützungen aufgrund des Personalmangels wegbrechen.

Es ist die politische und gesellschaftliche Pflicht der beteiligten Akteure, keine Option vorschnell vom Tisch zu nehmen, sondern ergebnisoffen in konkrete Gespräche einzutreten. Daneben dürften konkrete Verbesserungen der bestehenden Strukturen nicht aufgeschoben werden: Das Bundesgesundheitsministerium und das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend müssen umgehend mit den Ländern für eine Absicherung und einen deutlichen Ausbau der Ausbildungskapazitäten sorgen. Dazu gehört in einem ersten Schritt die bessere und vor allem gesicherte finanzielle Ausstattung der Pflegeschulen im Bereich der Investitionskosten ebenso wie ausreichend Studienplätze für Pflegepädagoginnen und -pädagogen und das Überdenken der Anforderungen an die Lehrkräfte in der Pflegeausbildung sowie organisatorische Vereinfachungen bei der Ausbildung, z.B. die Sicherstellung digitaler Weiterbildungsmöglichkeiten zur Praxisanleitung in den Pflegeeinrichtungen. Die generalistische Pflegeausbildung muss in einem ersten Schritt zu einem Modell vereinfacht werden, das von allen Pflegeeinrichtungen umgesetzt werden kann.

Einfachheit muss auch das Stichwort bei der derzeit diskutierten Schaffung einer bundeseinheitlichen Pflegeassistenzausbildung sein, die dem föderalen Flickenteppich aus derzeit 27 (!) landesrechtlich geregelten Pflegehelfer /Pflegeassistenzausbildungen ein Ende machen soll. Hier dürfen nun die Fehler aus dem Umstellungsprozess zur Generalistik auf keinen Fall wiederholt werden. Das bedeutet konkret, dass die neue Assistenzausbildung nicht zu einer weiteren Verknappung bereits nicht ausreichend vorhandener Strukturen beitragen darf. Der jetzt schon bestehende Mangel an Pflegepädagoginnen und -pädagogen sowie an Praxisanleiterinnen darf nicht verschärft werden. Gleichzeitig muss der wissenschaftlich ermittelte Bedarf an Assistenzkräften (QN3 Niveau) berücksichtigt werden, der insbesondere durch die Einführung von PeBeM und durch eine zunehmende Zahl von Pflegebedürftigen in allen Versorgungsbereichen der Langzeitpflege entsteht.

Denn das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat errechnet: „Sollten die Auszubildendenzahlen in den mindestens einjährigen Ausbildungsgängen mit 14.752 Personen (…) in den nächsten fünf Jahren auf dem gleichen Niveau bleiben, würde mit ihnen unter Idealbedingungen rein rechnerisch gerade einmal zwei Drittel des Mehrbedarfs in der vollstationären Langzeitpflege gedeckt werden können. Der Bedarf in Krankenhäusern ist hier noch nicht mitgedacht. Zudem sind die üblichen Abbruchquoten und Berufsausstiege sowie der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigten in der Pflege einzukalkulieren.“

Die neue bundeseinheitliche Pflegeassistenzausbildung muss also schnell qualifiziertes Assistenzpersonal in die Pflegeeinrichtungen bringen und ist daher als qualifizierte wie praxisorientierte Ausbildung mit einer Ausbildungsdauer von zwölf Monaten zu konzipieren. Jede andere Regelung geht an den Bedarfen und vor allem an den zur Verfügung stehenden Ressourcen vorbei.

Die Pflegeassistenzausbildung darf sich nicht zu einer Konkurrenzausbildung zur Ausbildung zum Pflegefachmann bzw. zur Pflegefachfrau entwickeln, sondern hat die Aufgabe, zusätzliche personelle Ressourcen zu schaffen. Dazu muss die se Ausbildung die Möglichkeit enthalten, Rahmenbedingungen und Inhalte zu bieten, die ihr – bei aller notwendigen Verbindung und Verknüpfung zur Fachkraft Ausbildung – ein eigenes Profil und Renommee geben.

Damit muss dann eine andere Zielgruppe als die der Fachkraft Auszubildenden angesprochen werden: Konsequenterweise muss auch die Hebung von Potenzialen von Personen mit einem Hauptschulabschluss oder ohne Nachweis eines Schulabschlusses (z.B. geflüchtete Personen) aktiv genutzt werden.

Um die benötigten Zahlen an angehenden Assistenzkräften und eine Steigerung der Ausbildungszahlen insgesamt erreichen zu können, dürfen die begrenzten Ressourcen bei Pflegepädagogen und Praxisanleitungen nicht zum hemmenden Faktor werden. Daher sollten für Lehrkräfte von Pflegeassistenzkursen ein pflegepädagogischer Abschluss auf Bachelor Niveau sowie weitere pflegerelevante Studienabschlüsse (wie z.B. Pflegemanagement oder Advanced Nursing Practice, ggf. mit einer zusätzlich nachzuweisenden pädagogischen Basisqualifizierung) als angemessen anerkannt werden. Insgesamt müssen die Anforderungen an Lehrkräfte an Pflegeschulen überdacht und Bezugswissenschaften mit einbezogen werden, andernfalls wird der zunehmende Lehrkräftemangel einem Ausbau der Ausbildungskapazitäten in der Pflege entgegenstehen.

Die übliche Praxisanleiter Qualifikation mit einem Umfang von 300 Stunden darf zudem nicht Grundvoraussetzung für die Ausbildung von Pflegeassistenten in Pflegeeinrichtungen sein. Die Praxisanleitung für Assistenzkräfte kann selbstverständlich auch durch Pflegefachkräfte erfolgen.

Zudem gilt es, den steigenden Abbruch und Durchfallquoten in der Fachkraftausbildung und den Assistenzausbildungen entschieden entgegenzuwirken. Erreicht werden kann dies durch ein begleitendes Coaching in der Ausbildung. Eine zusätzliche Verortung der ganzheitlichen Betreuung (im Sinne von § 16k SGB II auch im SGB III) würde ergänzend zur Assistierten Ausbildung (AsA flex) ermöglichen, dass ein Coaching grundsätzlich auf einer erweiterten Rechtsgrundlage von allen Auszubildenden, deren Ausbildung von einem Abbruch bedroht ist, in Anspruch genommen werden kann. Die entsprechende Rechtsgrundlage gilt es schnellstmöglich zu schaffen! +

Eine Stärkung der Ausbildungen in der Langzeitpflege ist einer der Schlüssel zur Entspannung der Personalsituation und damit ein Baustein, um den fortschreitenden Versorgungsmangel aufzuhalten. Wer Pflegekräften wirklich einen Dienst erweisen will, muss für schnelle Entlastung sorgen. Der Personalmangel hat für eine Arbeitsverdichtung gesorgt, die zu Krankheitsquoten unter Pflegekräften von fast 10 Prozent führen, wie die AOK Rheinland Hamburg erst kürzlich ermittelt hat.

Es geht nicht mehr um ideologische Diskussionen und Wunschvorstellungen, sondern nur noch um den schnellsten Weg hin zu steigenden Ausbildungszahlen in der Pflege. Eine Wiedereinführung der klassischen Altenpflegeausbildung als Ergänzung zu den bestehenden Generalistik Strukturen würde die Basis der Menschen, die theoretisch für den Altenpflegeberuf gewonnen werden können, ebenso verbreitern wie die Zahl der Pflegeeinrichtungen, die ausbilden können, warum also nicht?

Denkverbote darf es nicht geben. Es geht nicht darum, wer Recht hatte oder was wünschenswert wäre. Es geht um die Sicherung der Versorgung hunderttausender pflegebedürftiger Menschen und eine Entlastung der pflegenden Angehörigen.