Die Träger schaffen Versorgung – nicht die Kommunen

Norbert Grote warnt: Kommunale Steuerung bringt mehr Bürokratie und Kosten. Die Versorgung sichern die Träger – Kommunen sollten auf Prävention setzen

Norbert Grote, bpa-Hauptgeschäftsführer
Norbert Grote, bpa-Hauptgeschäftsführer

Manchmal schwirrt eine Aussage so lange im politischen Raum herum, dass sie nicht mehr hinterfragt und stattdessen erneut wiederholt wird. Aktuelles Beispiel ist die Renaissance der Diskussion um die „kommunale Steuerung“ in der Pflege. Politikerinnen und Politiker sprechen davon, kommunale Verbände sowieso, verbunden mit der Hoffnung, dass eine Stärkung der kommunalen Verantwortung die derzeitigen Versorgungsprobleme löst. Und jetzt legt auch noch die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Katrin Staffler, ein Gutachten vor und fordert eine verbindliche Pflegestrukturplanung der Kommunen.

Es wäre ja so bequem: Die Sicherstellung der Versorgung wäre plötzlich das Problem der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Probleme würden nicht mehr bundesweit, sondern nur noch vor Ort diskutiert und der Ärger der unversorgten Familien bliebe vor der Haustür. Problem gelöst? Mitnichten.

 

Eine schnelle Frage an die Microsoft-KI bringt bereits die zentralen Gegenargumente ans Licht, die eigentlich die Diskussion beenden könnten:

Ressourcenmangel: Oft fehlen Personal, finanzielle Mittel und Fachwissen.

Uneinheitliche Standards: Regionale Unterschiede könnten zu Ungleichheiten führen.

Bürokratie: Komplexe Abstimmungen belasten die Verwaltung zusätzlich.

Datenlücken: Fehlende Informationen erschweren bedarfsgerechte Entscheidungen.

Koordination: Zusammenarbeit mit Pflegeeinrichtungen und anderen Akteuren gestaltet sich schwierig.

Finanzielle Belastung: Viele Kommunen sind bereits finanziell überfordert.

Dieser Bereich ist von einer Vielzahl struktureller, finanzieller und organisatorischer Probleme geprägt, die einer optimalen Versorgung entgegenstehen.“

 

Verblüffend konkret. Und in jedem einzelnen Punkt wird ein Thema berührt, das einer weiteren politischen Befassung mit dieser Idee eigentlich entgegenstehen müsste. Um nur die wichtigsten zwei herauszugreifen:

Bürokratie: In keiner Rede der aktuellen Bundesregierung darf der Kampf gegen ausufernde Bürokratie fehlen. Konkret fragen Politikerinnen und Politiker derzeit nach Wegen, die administrativen Belastungen der Pflegeeinrichtungen zu reduzieren und sprechen entsprechend kritisch über Doppelprüfung und unnütze Strukturen auf mehreren Ebenen. Klar, wenn Bund, Länder und Kostenträger mitmischen, dann wird es bunt. Mehr als 40 Kontrollinstanzen gehen jetzt schon in den Einrichtungen ein und aus. Wird die kommunale Steuerung in der Pflege ausgebaut, werden die bürokratischen Anforderungen wuchern und Träger müssen sich schon im Nachbarort auf andere Anforderungen einstellen. Das belastet den Arbeitsalltag und verhindert Investitionen in den Ausbau der pflegerischen Infrastruktur, der dringend vonnöten ist.

Finanzielle Belastungen: Die meisten Kommunen sind massiv belastet. Das merken Bürgerinnen und Bürger an jeder Ecke, das spüren aber auch die Akteure in der Pflege. Zu Recht hat die Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung kürzlich in einem Interview mit dem Branchendienst „Tagesspiegel Background Gesundheit“ kritisiert, dass Sozialbehörden zu lange brauchen, um die Hilfe zur Pflege zu gewähren und zu bezahlen, was betroffene Pflegeeinrichtungen in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Ausgerechnet diese „klammen“ Kommunen sollen nun den Ausbau der pflegerischen Infrastruktur managen, obwohl ihnen dafür das Personal, die Informationen und die digitale Ausrüstung fehlen? Gleichzeitig wird der sprichwörtliche Bock zum Gärtner. Die Kommunen sollen den notwendigen Aufbau der neuen Angebote vorantreiben, der natürlich anschließend über die steigende Zahl von Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern auch die kommunalen Kassen belastet. Das kann nicht gelingen.

Dabei haben die Kommunen heute schon ein mächtiges Instrument in der Hand, um die Versorgungsstrukturen in ihrem Zuständigkeitsbereich zu gestalten: Die Altenhilfeplanung als Teil der kommunalen Sozialplanung. Diese liegt vollständig in der Eigenverantwortung der Kommunen. Um den Herausforderungen einer älter werdenden Gesellschaft zu begegnen, könnten hier vor Ort präventive und aktivierende Maßnahmen umgesetzt werden – das stärkt die Teilhabe älterer Menschen und kann auch ein Beitrag dazu sein, Pflegebedürftigkeit zu verzögern. Von der Beratung zu und der Vermittlung von Unterstützungsangeboten, über die Schaffung niedrigschwelliger Hilfen wie Seniorenstätten bis zur Initiierung und Koordinierung lokaler Netzwerke zur Sicherstellung einer sozialen Infrastruktur – Kommunen sollten ihre Kräfte auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen im Sinne der Alenhilfe konzentrieren, anstatt neue Aufgaben zu übernehmen, zu deren erfolgreicher Umsetzung sie offenkundig nicht in der Lage sind.

Das haben die Kommunen längst selbst erkannt. Nur wenige wenden das Instrument der Bedarfsplanung an. Beispielhaft die Entwicklung in Bochum: Dort wurde die Pflegeplanung vom Rat der Stadt bis 2023 als verbindlich erklärt. Inzwischen entschied man sich zu einer Rückkehr zur „einfachen kommunalen Pflegeplanung ohne Bedarfsbestätigungen für stationäre Pflegeplätze“ – zur Wahrung der Angebotsflexibilität.

Die kommunale Steuerung ist also kein Teil der Lösung, die Kommunen natürlich schon. Sie haben bereits eine wichtige Rolle, die dringend verstärkt werden müsste. Sie können und sollten ihr Engagement in der Prävention umfassend ausbauen, um Menschen gesund und selbständig zu halten und die Dauer der Inanspruchnahme von Pflege zu senken. Das wäre ein wichtiger Baustein in der Lösung der aktuellen Versorgungskrise und der Stabilisierung der Pflegeversicherung.