Komplexität bei der Umstellung reduzieren

Soziale Teilhabe in NRW – Verhandlungen nehmen Fahrt auf

In den letzten Jahren wurde ersichtlich, dass die Komplexität in der Eingliederungshilfe steigt, die gewünschte Umstellung (gemäß BTHG, UN-BRK, personenzentrierte Leistungen) ohne enorme bürokratische Aufwendungen nicht erfolgen kann und die Mehrwerte für die leistungsberechtigten Personen nicht erkennbar sind. Die Vertragsparteien des Landesrahmenvertrages von Dezember 2019 haben daher im Jahr 2024 vereinbart, Regelungen zu überdenken und gegebenenfalls neu zu verhandeln, damit die eigentliche Umstellung auf das neue Leistungs- und Vergütungsrecht komplexitätsreduziert erfolgen kann und tatsächliche Mehrwerte für die leistungsberechtigten Personen entstehen.

Hierzu haben die Landschaftsverbände den Verbänden der Leistungserbringer ihre Ideen zur Komplexitätsreduzierung vorgelegt. Diese sind nach Meinung der Verbände aber nicht hinreichend konkretisiert und enthalten zudem einige kritische Punkte, die einer personenzentrierten Bedarfsermittlung als auch Leistungserbringung entgegenstehen. Zu den Papieren der Landschaftsverbände haben sich die Verbände der Leistungserbringer bereits positioniert und weiterführende Fragen an die Landschaftsverbände gesendet.

In den Arbeitspapieren der Landschaftsverbände ist erkennbar, dass Budgetneutralität das oberste Ziel ist und die Komplexität in der Umstellung II (z.B. keine Bedarfsfeststellung, keine Prüfung Fachkonzepte) in erster Linie für die Leistungsträger reduziert werden soll. Ausführungen wie Bürokratie und Komplexität, die für Leistungserbringer nach der Umstellung II abgebaut werden sollen, bleiben mehr als vage.

Gerade in den Angeboten der besonderen Wohnformen wird vom neu vereinbarten Leistungssystem, das im Sinne des BTHG sehr personenzentriert ausgestaltet wurde, abgerückt und dieses durch landeseinheitliche Tagespauschalen für Bedarfstypen und Unterstützungsgrade ersetzt. Dies ist ein enormer Rückschritt, da hierbei wieder auf ein zweigliedriges System abgestellt wird, welches mit dem BTHG nicht vereinbar ist.

Der kritische Punkt ist der Folgende: Das Verhältnis des Bedarfs der Menschen mit Behinderungen und der zur Bedarfsdeckung notwendigen Leistungen muss aus unserer Sicht zwingend im sozialrechtlichen Dreieck bestimmt und erbracht werden. Der aktuelle Vorschlag der Landschaftsverbände lässt jedoch nach gängiger Rechtsprechung zum System der Leistungstypen/Hilfebedarfsgruppen keine Überprüfung durch die Leistungsberechtigten zu. Durch eine vollständige Pauschalierung von Leistung und Vergütung ist zudem für die Leistungserbringer der Weg einer rechtlichen Klärung de facto versperrt. Es verbleibt ein einseitiges Setzungsrecht der Landschaftsverbände. Das ist nicht akzeptabel.

Auch die Verbände der Leistungserbringer in der Gemeinsamen Kommission SGB IX haben ergänzend zu den Vorschlägen der Landschaftsverbände ein Maßnahmenpaket zum Gelingen der Umstellung II im Bereich Soziale Teilhabe Erwachsener erarbeitet und den Landschaftsverbänden für weiterführende Gespräche zur Verfügung gestellt.

Wir erkennen, dass der Prozess bzgl. der Umstellung II weiterhin offen ist. Ziel muss in NRW sein, kurzfristig einen für alle Beteiligten tragfähigen Kompromiss zu finden. Aus unserer Sicht kann das nur unter folgenden Bedingungen gelingen:

  • Die Haushaltslage der Landschaftsverbände muss angemessen berücksichtigt werden, darf aber bei einer personenzentrierten Bedarfsermittlung und der Bewilligung von bedarfsdeckenden Leistungen nicht die Grundlage sein.
  • Alle Seiten müssen anerkennen, dass es in der Eingliederungshilfe um die Verwirklichung von Rechtsansprüchen von Menschen mit Behinderungen geht.
  • Eine einseitige Risikoverlagerung in Richtung Leistungserbringer darf nicht stattfinden sowohl was die Verantwortung für die Bedarfsdeckung der Menschen mit Behinderungen als auch die Möglichkeit zur wirtschaftlich tragfähigen Leistungserbringung angeht.